In einem Brief vom 1. März 1744 schrieb Balthasar Neumann an Fürstbischof Friedrich Karl von Schönborn, dass Abt Georg Fasel mit seinem Baumeister Pater Sebald Gespräche wegen eines Klosterneubaus mit ihm geführt habe. Eine Beauftragung Neumanns lässt sich daraus jedoch nicht ableiten. Vielmehr hatte Abt Georg Fasel bereits einen eigenen Baumeister in der Person des Paters Sebald Appelmann, über den bisher nichts bekannt war. Der Fund eines Zinnkästchens in der Dachbekrönung des südwestlichen Eckpavillons der Klosteranlage im Jahr 2004 warf neues Licht auf die Person des Architekten. Neben Amuletten und Andachtsbildern enthielt das Kästchen, das in der Ausstellung zur Baugeschichte im Westwerk der Kirche zu sehen ist, die Namen sämtlicher Mitglieder der Abtei Oberzell-Gerlachsheim auf einzelnen Zetteln. Dabei fand sich einer, auf den „P. Sebald Appelman“ gedruckt ist. Darunter ist handschriftlich vermerkt: „exstructor hujus aedificij 1748 mortuus est“, zu deutsch „Erbauer dieses Gebäudes, (er) ist 1748 gestorben“. Mit „exstructor“ ist hier nicht die geistige Autorschaft gemeint, die dem Abt als Klostervorsteher zustand, sondern die Autorschaft als Architekt.
Kloster-Architekten
Architektur war vor allem im 17. und 18. Jahrhundert eine der wichtigsten Ausdrucksformen klösterlichen Selbstverständnisses. Durch Bauten konnte man klösterliche Spiritualität gewissermaßen Stein werden lassen. Es gab in vielen Ordensgemeinschaften baukundige Mitglieder oder Baumeister. Vor allem Franziskaner sind im Fränkischen als Architekten hervorgetreten. Beispielsweise errichtete der Minorit Kilian Stauffer Kloster Schönau bei Gemünden. Auch innerhalb des Prämonstratenserordens war die Tätigkeit von ordenseigenen Architekten nicht auf Pater Sebald beschränkt. Mit Pater Hugo Strauß ist in der Abtei Speinshart (Oberpfalz) ein klösterlicher Baudirektor auszumachen. In Windberg (Niederbayern) war mit dem Laienbruder Fortunat Simon ein weiterer Klosterarchitekt tätig.
Kurzvita Appelmanns
Pater Sebald wurde am 11. August 1684 in Neustadt an der Saale als Johann Sebastian Appelmann geboren. Am 5. Juli 1700 schrieb er sich als „Joannes Sebaldus Appelmann“ an der Universität Würzburg ein. 1715 wurde er als Mitglied der Abtei Oberzell zum Subdiakon geweiht, ein Jahr später zum Diakon. 1720 erwarb er ein Doktorat in Theologie, bereits am 23. September 1719 wurde er zum Priester geweiht. Es ist wahrscheinlich, dass Pater Sebald auch an anderen Universitäten studierte oder auf einer Bildungsreise durch das Reich, Italien oder Frankreich architektonische Kenntnisse erwarb. Dafür spricht zumindest sein vermutlich erster Bau, der in das Jahr 1718 datiert. Es handelt sich dabei um den wohl weitgehenden Neubau des späteren Krankenbaus von Oberzell, den heutigen Antonia-Werr-Saal. Das pavillonartige Gebäude trägt im Türsturz die Jahreszahl 1718, die Ecken sind abgerundet. Appelmann benutzte ein Motiv, das erstmals 1704 am Gartenpavillon des Juliusspitals in Würzburg von Joseph Greissing aufgetaucht war.
Appelmann in Gerlachsheim
Archivalisch für Sebald Appelmann gesichert sind sowohl die Kirche als auch die Klostergebäude von Gerlachsheim im Taubertal. Das 1563 aufgehobene Prämonstratenserinnenkloster hatte der Orden nach einem längeren Rechtsstreit im Jahre 1717 zurückerhalten. Es wurde als ein von Oberzell abhängiges Priorat wieder besiedelt. Bereits im Frühjahr 1721 begann man auf den alten Kellergewölben mit dem Neubau. Am 2. April 1723 folgte schließlich das dreischiffige Langhaus der Kirche, das zum 3. September des gleichen Jahres bereits eingedeckt war! Nach einer dreijährigen Pause errichtete man 1726 die Vierung samt Chor und den beiden Türmen. Die Gerlachsheimer Archivalien bezeugen Pater Sebaldus Appelmann als „Architectus“. Das Gotteshaus scheint bewusst als Kopie der Oberzeller Abteikirche geplant worden zu sein, um die Ansprüche des Mutterklosters im Taubertal auch architektonisch sichtbar zu machen. Es ist davon auszugehen, dass Sebald Appelmann spätestens mit dem Baubeginn des Langhauses Mitglied des Gerlachsheimer Konvents wurde. Nachdem der dortige Prior Georg Fasel im Dezember 1730 zum Propst von Unterzell gewählt wurde, übertrug man Sebald Appelmann das Priorenamt, das er allerdings nur ein Jahr ausübte. Im Herbst 1732 war er nämlich bereits „Substitutus des Priors zu Oberzell“, also Subprior.
Weitere Zuschreibungen
Ob der geistliche Architekt weitere Aufträge erhielt, ist nicht bekannt, aber wahrscheinlich. Dazu mag die Erweiterung der Hettstädter Pfarrkirche 1727/28, der Waldbrunner Klosterhof aus den 1730er Jahren, das Pfarrhaus in Gaukönigshofen (ebenfalls von 1727) und der Unterzeller Klosterhof in Roßbrunn von 1735 sowie das Hettstädter Pfarrhaus aus den 1740er Jahren gehören. Bei allen diesen Bauten handelte es sich um Aufträge der Prämonstratenser und des weiblichen Zweigs in Kloster Unterzell, weshalb Sebald Appelmann als Architekt an erster Stelle in Frage kam. Aufgrund des eingangs erwähnten Briefes weiß man, dass sich Abt Georg Fasel spätestens seit dem Jahr 1744 mit Neubauplänen in Oberzell trug. Als architektonisches Vorbild dürfte die Abtei Ebrach gedient haben. Ein Indiz dafür ist das Oberzeller Treppenhaus, das grundsätzlich dem Pommersfelden-Typus entspricht, der bereits Jahrzehnte früher – zwischen 1716 und 1718/19 – in Ebrach dem Architekten Joseph Greissing für das repräsentative Treppenhaus als Vorbild diente. Ebrach war die führende Abtei im Hochstift, ein Vorbild, dem Oberzell wohl auch baulich nacheifern wollte.
Weiterarbeit über den Tod hinaus
Bisher wurde suggeriert, dass der Neubau gänzlich auf den klösterlichen Baudirektor zurück geht, jedoch starb dieser vor dem 23. August 1748. Es bleibt daher zu fragen, wer Ost- und Westflügel sowie den verbindenden Mitteltrakts ausführte? Man kann davon ausgehen, dass Sebald Appelmann detailliert ausgearbeitete Pläne für den Klosterbau hinterließ, die einen reibungslosen Weiterbau ermöglichten. Die Bauaufsicht wird vermutlich in den Händen des Laienbruders Martin Schlembach (erwähnt zwischen 1748 und 1771) gelegen haben. Dieser wird in der oben genannte Kassette erstmals genannt.
Abschließend ist nach den stilistischen Einflüssen zu fragen, die Pater Sebald Appelmann prägten. In dessen frühen Jahren gehörte Joseph Greissing (1664-1721) zu den führenden Architekten der Stadt und des Hochstifts. Er adaptierte offensichtlich einige Greissingsche Motive. Zudem dürfte der üppige, von den Stuckaturen des Pietro Magno im Würzburger Dom angeregte Zierstil Greissings eine freie Umsetzung an der Oberzeller Westfassade gefunden haben. Diese erinnert in ihren reichen Rokokoformen an Stuckaturen der Zeit. Eine Mitarbeit des Chorherrn im Greissingschen Baubüro konnte jedoch bisher nicht nachgewiesen werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich bei ihm um einen Autodidakten handelte, wie sie im 17. und 18. Jahrhundert häufiger anzutreffen waren. Er tat dies letztlich so gekonnt, dass sein Name in Würzburg über Jahrhunderte hinter dem des Balthasar Neumann verschwand.
Dr. Jürgen Emmert, Mitarbeiter im Kunstreferat der Diözese Würzburg