Portrait von Schwester Reinhild Waldau mit den Lebensdaten.

Vor einigen Wochen konnte ich Schwester Reinhild eine besondere Freude machen: Ich besuchte sie im Antoniushaus und zeigte ihr als ausgesprochene Briefmarkenliebhaberin einen Sonderstempel und Umschlag, den der Würzburger Briefmarkenverein zum 4. Mai 2025 hat fertigen lassen. Beides zeigt das Porträt unserer Gründerin, Antonia Werr. Der Sonderumschlag war nur an diesem Tag erhältlich. An dem Tag stellte der Verein das Leben und Wirken unserer Ordensgründerin vor und zeigte historische Belege mit Briefe und Bezug zu Oberzell. Denn auch unscheinbar wirkende Schriftstücke erzählen Geschichte – und schaffen Verbindungen zwischen Menschen, Epochen und Themen, die auf den ersten Blick kaum zusammengehören.

Zwischen dem Leben und Wirken von Schwester Reinhild Waldau und dem Briefmarkensammeln lässt sich ebenfalls eine solch einzigartige Verbindung herstellen. Der Sonderstempel und Umschlag über Antonia Werr erschienen genau zum diamantenen Professjubiläum von Schwester Reinhild. Die Briefmarkenkunde nennt sich auch Philatelie, vom Griechischen philia, freundschaftliche Liebe, und atéleia, Abgabenfreiheit. Ursprünglich wurde das Porto vom Empfänger bezahlt. Wird ein Brief oder eine Postkarte freigemacht, muss die Empfängerin nichts bezahlen.

So ist das auch im Leben. Das Leben ist ein Geschenk. Wir müssen es uns nicht verdienen. Umsonst und gratis erblicken wir das Licht der Welt. Unsere Geburt ist genauso wie das Sterben ein einmaliger Vorgang.

Ein Allgäuer Mädel

Schwester Reinhild wurde am 6. September 1938 in Oberbeuren, im Landkreis Kaufbeuren im Allgäu geboren. Ihre Eltern waren Wilhelm und Maria Waldau. Sie gaben ihrem dritt geborenen Kind den Namen Rita Maria. Insgesamt hatte sie noch fünf weitere Geschwister. In der Taufe erhielt Rita Maria ein Siegel, das sie wie der Stempel auf einem Brief zeitlebens und unauslöschlich prägte. Besiegelt wird in der Taufe, dass Gott alle Sünden vergibt und zugesagt, dass jedes Kind ein Ebenbild Gottes ist, mit Würde ausgestattet ein für allemal. Von ihrem Vater, der als Protestant zum Katholizismus übergetreten war, wurde sie ermutigt, entschieden als Christin zu leben.

In ihrem Heimatdorf besuchte Rita die Volksschule und anschließend die Oberrealschule zunächst in Kaufbeuren. Dann zog die Familie nach Oberstdorf um, weil ihr Vater als Wetterdienst-Inspektor 1950 dort hin versetzt worden war. Im Sommer 1953 begann Rita eine dreijährige Ausbildung zur Textilverkäuferin. Neben der Lehre im Modehaus besuchte sie die Kaufmännische Berufsschule in Immenstadt.

Mit der Straßenbahn ins Kloster

Als Rita den Ruf Gottes zum Ordensleben spürte, hatte sie keine bestimmte Adresse im Kopf, wo sie ihre Lebensreise fortsetzen wollte. Sie überließ es dem Zufall, in welcher Gemeinschaft sie ankam. Sie wusste, dass es in Würzburg drei Frauenorden gibt, die vom Bahnhof aus alle mit der Straßenbahn
erreichbar waren. „Ich bin einfach in die erstbeste Straßenbahn eingestiegen und die Linie 2 brachte mich nach Ober zell“, sagte sie mir noch vor ein paar Wochen.

Als Kandidatin wurde Rita an der Frauenfachschule in St. Hildegard in Würzburg zur Handarbeits- und Hauswirtschaftslehrerin ausgebildet. Anschließend nahm sie noch ein Jahr lang am Pädagogischen Lehrgang teil. Ihr zweijähriges Praktikum absolvierte sie in Thüngersheim. Nach ihrer beruflichen Ausbildung wurde Rita ins Postulat und im Mai 1963 ins Noviziat aufgenommen. Ihr Ordensname Schwester Maria Reinhild freute ihre Eltern besonders. Denn Reinhild hatte eines ihrer Kinder geheißen, das mit viereinhalb Monaten gestorben war. 1965 legte Schwester Reinhild die zeitliche Profess für drei Jahre, und 1968 die Profess auf Lebenszeit ab.

Hauswirtschaft und Kochen 

Nach der Erstprofess wurde Schwester Reinhild fünf Jahre lang in der Frauenfachschule St. Hildegard als Fachlehrerin eingesetzt. Ab 1970 wirkte sie acht Jahre im Exerzitienhaus Himmelspforten in Würzburg als Küchenleiterin. Hier bildete sie auch junge Frauen in der Hauswirtschaft aus. (Es ist wohl einzigartig, dass mit Barbara Öhling eine Mitarbeiterin von der Ausbildung bei Schwester Reinhild bis zu ihrer Pensionierung über 50 Jahre bei derselben Arbeitgeberin tätig war.)

Von 1978 bis zur Auflösung der Niederlassung lebte 128 Schwester Reinhild in der Abtei Münsterschwarzach. Hier war sie die Küchenleiterin im Internat und Oberin für den Schwesternkonvent. Es folgten einige Monate als Köchin im damaligen Fürsorgeheim in Kirchschönbach. Am längsten, nämlich 32 Jahre, lebte und wirkte Schwester Reinhild im St. Raphaelsheim in Würzburg. Hier brachte sie all ihre Fähigkeiten im Kochen und Backen zum Ausdruck. Vor allem in der Weihnachtszeit hat sie Dutzende Sorten Plätzchen gebacken, und damit vielen Freunden und Bekannten Geschenke gemacht.

Liebe zum Detail

Ähnlich wie beim Stempeln der Postkarten oder Briefen, muss jedes Plätzchen einzeln ausgestochen oder liebevoll belegt, verziert oder geformt werden. Ein Kunstwerk waren auch die mit verschiedenen Samen und Körnern hergestellten Plätzchen. Die Liebe zum Detail setzte sich in ihrer Freizeit fort. Weil ihr die Mission sehr am Herzen lag, sammelte Schwester Reinhild abgestempelte Briefmarken. Sie freute sich über besondere Marken aus aller Welt. Akkurat schnitt sie die Marken aus, feuchtete sie an und löste sie behutsam mit einer Pinzette von den Kuverts ab. Getrocknet kamen sie dann Zentnerweise zur Briefmarkensammelstelle. Der Erlös aus dem Verkauf kam unseren Einrichtungen und Projekten in Südafrika zugute. Jedes mal einige Hunderte DM bzw. Euro – mühsam ver dientes Geld. Auch die Briefmarkensammlung der Kongregation führte Schwester Reinhild fort.

Jahrzehntelang über nahm sie zudem den Versand unserer Zeitschrift LUPE. Für eingegangene Spenden schrieb sie persönliche Dankesbriefe an unsere Wohltäter:innen. Nach Auflösung des St. Raphaelsheimes 2018 wurde Schwester Reinhild ins Mutterhaus versetzt. Hier setzte sie ihre besonderen Aufgaben fort. Für Mitschwestern führte sie kleinere Näharbeiten durch. Etliche Jahre litt Schwester Reinhild an Diabetes. Aus gesundheitlichen Gründen zog sie im Januar 2023 ins Antoniushaus auf unsere Pflegestation um. Schwester Reinhild hatte viele Fähigkeiten und war gern in der Gemeinschaft.

Innigen Kontakt pflegte sie zu ihrer Familie, die sie mit Kind und Kegel besuchten. Sie war aufmerksam Mitschwestern und Mitbewohnerinnen ge genüber. Briefmarkensammler wissen, dass jedes Schriftstück eine Geschichte erzählen kann über seine Herkunft und Bedeutung, seine Botschaft und seine Adressaten.

Du, Schwester Reinhild, warst ein Unikum. Eine einzigartige Persönlichkeit. Du hast gerne und viel erzählt, warst umfassend interessiert. Du hattest ein unglaubliches Wissen und konntest Dich an Begebenheiten genau erinnern. Im Mai konnte sie ihr diamantenes Jubiläum noch mitfeiern. Es hat sie sehr gefreut, dass ihre Verwandten zu ihrem Fest gekommen sind. Danach hat sich ihr gesundheitliches Befinden zusehends verschlechtert. Sie hat diese letzte Strecke bis zur endgültigen „Zustellung“ mit großer Tapferkeit ertragen. Am 26. Juni hat Sr. Reinhild wieder den Absender erreicht, der ihr Leben als Sonderumschlag am 6. September 1938 in Oberbeuern abgestempelt und auf die Lebensreise geschickt hatte. Und Gott, der sie abgabenfrei losschickte, hat sie nun wieder entgegen genommen in seine Hände. Ich stelle mir vor, dass er lächelt, voller Liebe auf sie schaut und sehr zufrieden ist mit der Sendung, die nach 86 Jahren, 9 Monaten, 2 Wochen und 6 Tagen zu ihm zurückgekehrt ist.

Sr. Katharina Ganz