Osterpredigtreihe im Dom: Sr. Regina Grehl über die Kraft der Hoffnung und Wertschätzung im Alltag

Anlässlich des Gedenktags der Apostelin Junia am 17. Mai laden Katholische Frauengemeinschaften seit 2020 Frauen dazu ein, in Gottesdiensten zu predigen und ein Zeichen für eine geschlechtergerechte Kirche zu setzen. Traumapädagogin und Oberzeller Franziskanerin Sr. Regina Grehl war von Weihbischof Paul Reder eingeladen worden, im Rahmen der Osterpredigtreihe „Hoffnungszeichen, Hoffnungsorte, Hoffnungsmenschen“ am 18. Mai in der sonntäglichen Abendmesse im Dom über ihre Arbeit im Antonia-Werr-Zentrum zu predigen.

Sie leitete ihre Predigt im Dom mit einer kurzen Stille ein, um „die Seele für den ‚ganz Anderen‘ und uns doch so Nahen zu öffnen“. Singend, auch mit ihrer Mitschwester Beate Krug, wies sie auf die eigenen Möglichkeiten des Mediums Musik hin, das ihren Alltag im Antonia-Werr-Zentrum, einer heilpädagogisch-therapeutischen Einrichtung für Mädchen und junge Frauen prägt. Singend zu predigen, damit steht sie auch ganz in der Tradition des hl. Franziskus.

Bezugnehmend auf einen Satz des Evangeliums: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“ schilderte sie beispielhaft und augenscheinlich konkret sowohl schwierige als auch hoffnungsvolle Situationen im Alltag der Mädchen und Mitarbeitenden. „Bei Gott ist nichts unmöglich.“ Persönliches Erleben unterstreicht diesen Satz, der ihr Wirklichkeit wurde und wird. In ersten Exerzitien erhielt sie spürbare Antwort auf die existenziell gewordene Frage, ob es Gott wirklich gibt. „Ja, es gibt Dich wirklich. Du, Gott, bist da.“

Das gesungene Lied „Es gibt Momente, wo ich dich spüren kann“ von Sabine Rödiger wurde zur Einladung, eigene Momente von Gottes Nähe zu erinnern, denn „Wohin wir schauen, dahin werden wir verwandelt.“ (Heinrich Spaemann).

Langfassung der Predigt:

„Pilger der Hoffnung“ – was für ein schönes Jahresthema, denn

„Wohin wir schauen, dahin werden wir verwandelt.“ so Heinrich Spaemann.

Ein Gottesdienst, eine katholische Liturgie ist eine wohldurchdachte, gut komponierte Choreographie, damit sich die Seele für „den ganz Anderen“ und uns doch ganz Nahen öffnen kann. Da die heutigen Worte nun gleich zu Beginn kommen, möchte ich bewusst einladen,

eine Minute ganz still zu werden,

um uns Seiner Gegenwart zu vergewissern,

Sein Dasein leichter wahrzunehmen.

„Wesentliches ist für die Augen unsichtbar.“ Wer kennt diesen Schlüsselsatz aus dem „Kleinen Prinzen“ von Antoine de Saint-Exupéry nicht.

Auch „Hoffnung“ ist so ein Zustand, eine Dimension, die schwer messbar ist, kaum greifbar und doch gegenwärtig.

In meinem Alltag spielt Musik eine wesentliche Rolle. Ob in der Liturgie oder in unserer Heilpädagogisch-Therapeutischen Einrichtung für Mädchen und junge Frauen, dem Antonia-Werr-Zentrum: In verschiedenen Klassen unserer Mittelschule unterrichte ich das Fach Musik. Darüber hinaus können die Mädchen Nachmittags und Abends in Einzelzeiten Singen bzw. ein Instrument erlernen, auch erzählen, spielen, spazieren

oder was ihnen gerade gut tut.

Musik ist dabei ein Medium, das über Worte hinaus wirkt.

Gern möchte ich nun mit meiner Mitschwester Beate Krug für Sie singen, einen französischen Sonnengesang nach den Worten des Hl. Franziskus und Sie einladen, sich von der Melodie mitnehmen zu lassen, auch wenn Sie kein Französisch verstehen. Es ist ein Loblied, ja auch fast ein Liebeslied auf die Schöpfung Gottes.

„Psaume de la creation“ von Patrick Richard

Wir sind Oberzeller Franziskanerinnen und der hl. Franziskus lädt ja geradezu ein, singend zu predigen. Schließlich erzählen Legenden, dass er Vögel ansprach und sie ruhig lauschten oder beschreiben, wie er auf einem Stock Violine spielte. Das tat mein Onkel übrigens auch manchmal, wenn er seine Posaune imaginär ansetzte und mit den Lippen Melodien täuschend echt erklingen ließ.

Der hl. Franziskus und sein engster Gefährte Br. Leo – Bemerken Sie die Namens-Nähe zu unserem jetzigen und zum verstorbenen Papst? –

Damals jedenfalls wollten beide, der hl. Franziskus und Br. Leo in die Stadt Assisi und predigen. Sie waren jedoch so ins Gespräch vertieft, dass Br. Leo, zu Hause angekommen, betroffen sagte: „Oh, jetzt haben wir doch glatt vergessen zu predigen.“ Woraufhin Franziskus entgegnete: „Hast du nicht bemerkt, wie die Menschen unser Beisammensein wahrgenommen haben? Wir haben auf diese Weise gepredigt.“ Hoffnung beispielhaft vorleben.

Im Evangelium werden wir heute hören:

„Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“

Das klingt ja eigentlich ganz einfach, zu einfach?

Wie sieht das aus im Alltag,

wenn unsere Mädchen ungut mit sich und anderen umgehen, (oder wir selbst,)

wenn gestohlen wird, (weil sie als kleine Kinder zu wenig hatten),

wenn sie vor lauter Wut zuschlagen, an die Wand, Möbel zerlegen

oder blind auf Andere losgehen.

Was, wenn sie mit Worten abwerten und beschämende Bemerkungen auch mit Hilfe der Medien machen,

wenn sie sich selbst verletzen, doch nur um den eigentlichen, den inneren seelischen Schmerz nicht spüren zu müssen.

Es gibt „gute Gründe“ für solches Verhalten und

im Zusammenleben bleibt es problematisch und ist nicht zu dulden.

Für alle pädagogischen Fachkräfte sind solche Situationen immer wieder herausfordernd.

Und: „Bei Gott ist nichts unmöglich“.

Dieser Satz schenkt mir immer wieder Hoffnung.

Im „AWZ“ erlebe ich, wie durch fundierte Fortbildungen der Mitarbeitenden und deren wohlwollende, aufmerksame, lehrende, begleitende Haltung der Boden bereitet wird, dass sich Mädchen selbst verstehen lernen, sich selbst wert schätzen, Worte finden, die sie auch einander näher bringen.

Mich lässt hoffen, dass Mädchen, die Monate- oder gar Jahrelang kaum in der Schule waren, weil sie dort gemobbt wurden oder weil sie zu Hause auf einen Elternteil achten mussten, in unserer Schule Freude am Lernen finden. Ich erinnere mich, dass bei einem Mädchen der Unterricht in der Gruppe am Bett begann. Ihre Vorerfahrungen waren so schlecht, dass sie lieber gleich liegen geblieben ist. So kam die Lehrerin zu ihr, zuerst ans Bett, dann an den Esstisch, in das Lernzimmer der Gruppe, schließlich kam sie stundenweise in die Schule bis sie wie alle anderen am Unterricht teilnehmen konnte. Inzwischen hat sie ihr Abitur und studiert.

Immer wieder probieren Mädchen Instrumente und ihre Stimme, ob im Chor oder einzeln. Als uns im März Bischof Franz Jung besuchte, sang ein Mädchen den Rap von Sido: „Danke“. Beim Üben hatte ich den Song bereits unzählige Male gehört. Doch als sie ihn in der Aula vor allen Schülerinnen, Lehrenden und vielen Gästen sang, hatte ich Gänsehaut und konnte meine Tränen nicht verbergen. In dieser aufmerksamen und besonderen Atmosphäre der Wertschätzung, die sich schließlich in kräftigem Applaus entlud, ist sie über sich selbst hinaus gewachsen. Ein Erfolgserlebnis und ganz normal.

Den Refrain des Raps möchte ich kurz wiedergeben:

„Das hier ist kein Gebet, ich will nur „Danke“ sagen
Dafür, dass du mir ’nen Engel schickst an manchen Tagen
Dafür, dass du mir das Leben zeigst
Für dein Vertrauen dank‘ ich auch
Danke, dass du an mich glaubst
Das ist kein Schlüssel zum Himmel, ich will nur „Danke“ sagen
Dafür, dass du mir zeigst: Ich brauche keine Angst zu haben
Dafür, dass du mir das Leben zeigst
Bitte halt‘ mir einen Platz frei in der Ewigkeit“

In den einzelnen Strophen bedankt sich der Rapper Sido für sein Leben,

das ihm erst im Rückblick gelungen erscheint und er bittet Gott, nun für die anderen da zu sein: einzuschreiten bei Missbrauch, Hass, Gewalt, Drogen, Krieg…

Dieses Lied ist ein Gebet und und trifft die Sprache unserer Mädchen.

Leider kennen sie manches aus eigenen Erfahrungen.

Wir Erwachsenen lernen immer wieder von unseren Mädchen.

Im Letzten geht es ja nicht nur darum ein Instrument oder singen zu lernen sondern um stärkende Beziehung, wachsendes Vertrauen und die Bildung neuer Synapsen im Gehirn, die alte, nicht mehr Not-wendende Verhaltensweisen verblassen lassen.

In unserer Lebensform als Schwestern weisen wir schon durch unser Dasein auf die Realität Gottes hin. Ja, wir machen auch ein wenig neugierig: „Gehen Schwestern mit dem Schleier schlafen?“ und spätestens wenn Mädchen für einen verstorbenen Elternteil eine Kerze anzünden möchten.

Ganz bewusst beten wir immer wieder für die Mädchen, ihre Familien und Freunde sowie für alle Fachkräfte unserer Einrichtungen.

Was mich noch hoffen lässt? Eigenes Erleben.

Die prophetische Predigt unseres Pfarrers Weihnachten 1988 wurde Wirklichkeit. Er sagte: „Bleibt doch hier, dieser Staat, die DDR, ist wirtschaftlich am Boden. Das geht nicht mehr lange. Macht die Augen auf.“ Als junge Erwachsene stand ich auf der Empore im Chor und wir alle bangten: „Wann holt ihn die Stasi?“ Er blieb. Ein Wunder?

War es schon so offen-sichtlich?

Jahrzehntelange Friedensgebete in der Nikolaikirche Leipzig, vorerst für Ausreisewillige bereiteten schließlich den Boden für die friedlichen Demonstrationen mit Kerzen, die die Wende und Wiedervereinigung herbeiführten.

Ich selbst habe bangend meine Kollegen in der Deutschen Bücherei gefragt, was mache ich, wenn sie schießen“? „Rennen“ war die Antwort.

Ich hatte Angst und zog meine Turnschuhe an.

Wer hätte damals wirklich zu hoffen gewagt, was heute Selbstverständlichkeit ist? „Bei Gott ist nichts unmöglich.“

Und die bleibende und wachsende Grunderfahrung: „Beten hilft.“

Das lässt doch hoffen, weil Beten doch schließlich jeder kann!

Meine ersten Exerzitien liegen nun schon gut 30 Jahre zurück. – 10 Tage im Schweigen, Beten, Einzelgespräche mit geistlicher Begleiterin, abendlicher kurzer Austausch in der Gruppe. Ich bekam endlich die für mich ganz deutlich und spürbare Antwort auf meine Frage, ob es Dich, Gott, wirklich gibt:

„Ja, es gibt dich wirklich. Du bist da.“

Hape Kerkeling schreibt in seinem Bestseller: „Ich bin dann mal weg“ – dass er Gott getroffen hat. Er verrät nicht die genauen Umstände aber ermutigt: „Man muss Gott schon selbst fragen.

Gott ist nicht aufdringlich.

Er möchte gebeten werden.“

Ich bin sicher, auch Sie kennen solche Momente! Es gibt sie nicht nur einmal.

„Es gibt Momente“ von Sabine Rödiger

Zum Ende ein aktuell schöner Moment vom Donnerstag Abend: Ein Spaziergang mit meiner neuen Mitschwester, stilles Gebet in kleiner Marienkapelle in den Weinbergen und anschließend das überwältigende Bild des aufsteigenden Vollmondes. Erst rötlich, groß, mit einem Hof, dem lächelnden Mond-Gesicht und schließlich schauten wir beim Heimgehen immer wieder zurück und auf ihn, wie er weiter aufstieg, heller und kleiner wurde, nur das scheinbare Lächeln des Mondes blieb.

Am Ende schenkte mir die Mitschwester den weisen Satz:

„Der Mond selbst bleibt doch stets der gleiche,

aber wir sehen ihn immer wieder anders.

Und mein Schlusssatz ist aus der letzten Ordensoberinnenkonferenz in Rom:

„Wir selbst sind Mond. Sonne bist Du, Gott“.

Der Mond ist aufgegangen GL 93, 1,3+5

Amen.