Eine Ordensschwester geht die Steintreppe im barocken Konventbau herunter. Das Kunstschmiedeportal im Hintergrund.

Neujahrswunsch: Mut und „Verrücktheit“, jeden Tag mit Wundern zu rechnen

Luftbild des Klostergeländes, bearbeitet mit KI.

mag sein
dass ich nie recht begriff
was geboren-sein heißt

mag sein
dass ich warte
auf verlorenem posten

mag sein
dass verrückt ist
wer noch immer rechnet mit wundern

verrückt wie die frauen
die in der gruft eines toten
entdeckten die neue geburt

Kurt Marti

 

Liebe Leserinnen und Leser,

die frohe Botschaft von Weihnachten klingt noch in mir nach, sein „Geboren-Sein“, seine Menschwerdung in unsere Alltagsrealität, in die „Ställe“ unserer Zeit. Allerdings spüre ich im Alltag in letzter Zeit auch immer deutlicher die Herbergssuche von Maria und Josef. Da höre ich weniger die Freude, sondern eher die schroffe Abweisung und die Sorge, „es ist kein Platz in der Herberge“, es ist kein Platz mehr hier in Deutschland.

Maria und Josef wurden abgewiesen, fanden letztlich einen Platz in einem Stall. So viele Menschen hier in unserem Land bangen jeden Tag um ihre Existenz, da sind Menschen, die keine Arbeit haben und an der Armutsgrenze leben, Andere sind psychisch krank und werden in der Gesellschaft ausgegrenzt und ich denke an Geflüchtete, die sich nichts sehnlicher wünschen, als endlich anzukommen, sich in einer Herberge niederzulassen. Doch die politische Ausrichtung geht aktuell dahin, „Abschiebungen um jeden Preis“ durchzuführen. Der Preis, den die einzelnen Menschen dafür zahlen, ist immens hoch.

Pro Asyl berichtete kürzlich, dass immer mehr „Familien, kranke Personen und gut integrierte Menschen“ betroffen sind. „So waren allein 2.396 der zwischen Januar und September dieses Jahres abgeschobenen Personen Kinder bis zu 13 Jahren, weitere 699 waren zwischen 14 und 17 Jahre alt. Insgesamt waren damit 17,5 Prozent der Abgeschobenen minderjährig.“ (www.proasyl.de)

Ich möchte zwei persönliche Schicksale teilen, die ich einfach nicht verstehen kann und die mich am Ende dieses Jahres sprachlos zurücklassen:

Eine junge Mutter aus Afrika lebt mit ihren beiden Kindern schon seit Jahren in Deutschland, selbst Opfer von Menschenhandel, hat sie sich hier eingefunden, Deutsch gelernt, die Kinder haben einen Förderbedarf, aber sie entwickeln sich gut. Die junge Mutter hat Pläne eine Ausbildung zu machen, wenn die Kinder in der Schule sind….aber sie hat kein Recht auf Asyl, es gibt Abschiebeversuche und sie lebt seit Wochen in Angst vor einem weiteren Versuch. Die Kinder kämen in ein Land, dass sie nie gesehen haben.

Oder ein junger Mann, ebenfalls aus Afrika – auch er hat Pläne, lernt Deutsch, findet einen Arbeitsplatz und letztlich sogar einen Ausbildungsplatz. Erst wird ihm Hoffnung gemacht auf eine Ausbildungsduldung und dann zerplatzt der Traum. Trotz aller Mitarbeit entzieht ihm die Ausländerbehörde die angekündigte Ausbildungsduldung ohne ersichtliche Gründe. Zurück bleibt ein junger Mann, den wir in die Psychiatrie einweisen müssen und ein zukünftiger, ratloser Arbeitgeber, der einen neuen Auszubildenden suchen muss.

Ja, es stimmt – beide haben nach unserem geltenden Asylrecht keinen Anspruch auf Asyl. Aber ich frage mich immer mehr, warum keine ausreichenden, gut zugänglichen Alternativen geschaffen werden, die es Menschen ermöglicht, einen sogenannten „Spurwechsel“ zu vollziehen.

Menschen, die sich hier integriert haben, Deutsch gelernt, gearbeitet oder eine Aussicht auf einen Ausbildungsplatz haben – ist da wirklich kein Platz in der Herberge? Und das in Zeiten wo Lehrstellen unbesetzt bleiben, Pflege(hilfs)kräfte händeringend gesucht werden…

Die katholische Kirche feiert seit 1968 den 1. Januar als Weltfriedenstag. An so vielen Orten der Welt ist kein Frieden, sei es durch Krieg, Verfolgung oder persönliche Lebensschicksale.

Mag sein, dass es verrückt ist, aber ich möchte wie Kurt Marti weiter warten und mit Wundern rechnen, darauf vertrauen, dass sein Kommen etwas verändert und Frieden schenkt. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein friedvolles und glückseliges neues Jahr, den Mut und die „Verrücktheit“, jeden Tag mit Wundern zu rechnen und, dass Ihnen persönlich jeden Tag kleine Alltagswunder geschenkt werden.

Ihre Sr. Juliana Seelmann, Generaloberin