Schwester Claudia Werner verstarb im Alter von 75 Jahren

„Sie hat jeden mit der Liebe Christi geliebt.“ Denise Rile – Am Fest Kreuzerhöhung, das die Kirche am 14. September begeht, hat Gott unsere Mitschwester M. Claudia Werner zu sich gerufen. Für uns kam die Nachricht überraschend, schockierend und unerwartet. Dabei hatte sich Sr. Claudia durchaus mit dem Sterben auseinander gesetzt.

Erst im Juni hat Sr. Claudia ihren Lebenslauf aufgeschrieben. So lasse ich sie selbst zu Wort kommen:

„Am 24. Juni 1943 wurde ich in Warnsdorf im Sudentenland geboren. Bei der Taufe erhielt ich den Namen Ulrike. Meine Eltern waren Walter Werner von Beruf Texil-Ingenieur und meine Mutter Elisabeth, geborene Zumpe. Ich wuchs mit einem Bruder in einer glücklichen Kindheit auf. Aber diese war bald vorbei.

Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges kam das Sudentenland an die Tschechoslowakei. Nachdem durch NS-Terror in Böhmen und Mähren Tausende von Tschechen umgekommen waren, wollte Staatspräsident Beneš die Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei ausweisen. Am 19. Mai 1945 erließ er die sogenannten Beneš-Dekrete. Alle Personen deutscher Nationalität wurden als staatlich unzuverlässig erklärt und ihr Vermögen enteignet.

Groß war der tschechische Hass gegen die Sudetendeutschen. Es folgten Ermordungen im großen Stil, denen Zehntausende Deutsche zum Opfer fielen. Bis drei Millionen Menschen wurden in die deutschen Besatzungszonen deportiert. Auch meine Mutter, die schwanger war, mein Bruder und ich waren dabei.

Wir kamen im Juli 1945 in die ehemalige DDR nach Großschönau, eine sächsische Gemeinde im Landkreis Görlitz. Dort wurde meine Schwester Gerlinde geboren. Auch hier in der DDR wurden wir von den Russen nicht gut behandelt. Ein letzter Transport fuhr 1946/47 nochmals in den Westen. Weil wir zu spät dran waren, hatten wir den Zug nicht mehr erreicht.

So machten wir uns ‚schwarz‘ über die Grenze und kamen nach Nordhorn, eine Gemeinde in Niedersachsen. Mein Vater war bereits in amerikanischer Gefangenschaft im Westen gelandet.

Wir sind dann mehrmals umgezogen und ich musste deshalb auch immer wieder den Schulort wechseln.

Von 1949 bis 1954 besuchte ich die Volksschule in Bocholt, von 1954 bis 1956 das Mädchengymnasium in Mönchen-Gladbach, von 1956 bis 1961 die Oberrealschule in Münchberg und von 1961 – 1962 das Mädchengymnasium in Bayreuth.

Ursprünglich wollte ich Lehrerin werden, aber ich hatte auch Kinder gern. So entschloss ich mich, Kindergärtnerin zu werden. Von 1962 bis 1964 besuchte ich das Kindergärtnerinnen-Seminar St. Hildegard in Würzburg. Durch den Kontakt mit Schwestern wuchs in mir der Wunsch auch Ordensschwester zu werden. Ich war sehr am Leben des hl. Franziskus interessiert. Franziskus faszinierte mich. Meine Eltern waren gegen den Eintritt in ein Kloster.

So ging ich eines Tages nach Oberzell und mir gefiel das Kloster. Generaloberin Schw. M. Lotharia machte mit mir den Eintrittstag aus und so trat ich am 22. August 1964 in Oberzell ein.

Am 4. Mai 1965 wurde ich in das Noviziat aufgenommen und erhielt den Namen Schwester Claudia. Am 5. Mai 1967 legte ich die Profess für drei Jahre und 1972 die Profess auf Lebenszeit ab.

Nach der Erstprofess wurde ich in den Kindergarten nach Giebelstadt versetzt. Im September 1969 kam ich zur Aushilfe für ein paar Monate nach St. Hildegard in Würzburg. Von 1970 bis zur Auflösung 2008 war ich wieder in Giebelstadt. Hier hatte ich auch die Leitung des Kindergartens inne. In Giebelstadt befand sich ein amerikanischer Militärstandort bis 2006.

Dadurch kamen auch englisch sprechende Kinder in den Kindergarten. In der Volkshochschule habe ich dann meine bisherigen englischen Kenntnisse vertieft. Auch mit den Eltern der Kinder kam ich in Kontakt.

Nach der Auflösung von Giebelstadt 2008 hatte ich den Wunsch, in die Region der Hl. Familie nach USA zu gehen. Ich erhielt ein Visum für fünf Jahre und flog im Oktober 2008 nach Amerika zu unseren Schwestern in Yardville. Dort arbeitete ich in verschiedenen Bereichen wie im Haus, im Kindergarten oder Schule mit. Auch half ich beim Betreuen von geistig und körperlich behinderten Frauen. Ich wäre gern länger dort geblieben, aber ich bekam kein weiteres Visum.

So kehrte ich im Sept. 2013 wieder nach Deutschland zurück und lebte bis 2015 im Mutterhaus. Dort half ich im Refektor mit.

Nachdem ich nicht mehr nach Amerika konnte, hatte ich den Wunsch auch einige Monate in Südafrika zu verbringen und unsere Schwestern während der Umbauzeit des Kinderheims in Mbongolwane zu unterstützen. Im März 2014 flog ich nach Eshowe. Ich erhielt aber nur das Besuchsvisum für 3 Monate.

Nach meiner Rückkehr war ich noch einige Monate im Mutterhaus und wurde im Juli 2015 in den Konvent Padua versetzt. Durch meine Krankheit kam ich im Mai 2017 auf die Pflegestation des Antoniushauses.“

Soweit der äußere Lebenslauf aus der Rückschau von Sr. Claudia selbst.

Zu ihrem inneren Lebenslauf gehört als Mitte zweifellos ihre tiefe und innige Beziehung zu Jesus, von dem sie sagt und schreibt: „Jesus mein bester Freund, mon bien ami.“ Ihre Bibel trug sie immer bei sich. Wichtige Worte der Schrift notierte sie sich in ihrem geistlichen Tagebuch oder in ihren Briefen: „Ich vermag alles in dem, der mich stärkt.“ Aus ganzem Herzen war Sr. Claudia Franziskanerin. Sie identifizierte sich mit Franziskus von Assisi, der ebenfalls nichts anderes wollte, als das Evangelium zu leben.

Aus der Beziehung mit Jesus heraus gestaltete sie ihr Leben und ging auf alle Menschen unvoreingenommen zu. Ob jung oder alt, krank oder gesund, arm oder reich, deutschstämmig oder Ausländer, katholisch oder andersgläubig – Schwester Claudia war kontaktfreudig und gewann schnell die Herzen der Menschen.

Sr. Rutilia, die vier Jahrzehnte mit Sr. Claudia in Giebelstadt gelebt hat, kann sich nicht erinnern, dass einmal jemand schlecht über Sr. Claudia geredet hätte oder es Streit im Kindergartenteam gegeben hat. Als Leiterin des katholischen Kindergartens lag Sr. Claudia sehr an einem kollegialen Miteinander im Team und an einer guten Zusammenarbeit mit den Eltern. Sie vermittelte, suchte Ausgleich und Versöhnung. Freilich konnte sie auch hartnäckig sein, um ihre Vorstellungen durchzusetzen oder ihre Ziele zu erreichen. Von den Kindern wurde sie geliebt, von den Erwachsenen geschätzt und respektiert. Sr. Claudia war gerne mit den Kindern draußen, sie spielte Fußball oder drinnen auf der Kegelbahn. Auch gesungen wurde viel.

Bei ihrer Verabschiedung aus dem Kindergarten St. Josef schrieb Sr. Claudia ins Gemeindeblatt: „‘Weit und tief wie das Meer sei Deine Liebe zu den Menschen!‘ Mit diesem Wahlspruch, den ich zu Beginn meiner Ausbildung zog, kam ich 1967 nach Giebelstadt. Dieser Wahlspruch begleitete mich auch weiterhin in meinem Leben.

Die ganzheitliche Erziehung, d. h. Körper, Geist und Seele im Kind zu formen, fördern und unterstützen, sie zu lebenstüchtigen, charakterfähigen Persönlichkeiten zu erziehen, war für mich das Wichtigste in meinem pädagogischen Beruf. Die religiöse Erziehung sollte das Fundament sein, ganz gleich, welcher Konfession jemand angehört – vor Gott sind alle Menschen gleich! Je besser man Familie und Umfeld eines Kindes kennt, umso einfacher ist es sich in das Kind einzufühlen. Somit waren auch Feste und Feiern, das Erleben von Gemeinschaftselementen im Jahreskreis von großer Bedeutung. Für mich war der Erzieherberuf kein Job, sondern eine Berufung zum Wohl des Kindes meinen Beitrag zu leisten.“

Ihren Urlaub verbrachte sie regelmäßig mit Sr. Rutilia bei deren Verwandten in der Oberpfalz, wo sie zur Familie dazu gehörte. Sie freute sich über Abwechslungen, über gutes Essen – zuletzt hatte sie sich noch einen Eisbecher gewünscht.

Nach dem Abschied aus Giebelstadt war es ihr inniger Wunsch, unsere kleiner werdende Gemeinschaft in den USA zu unterstützen. Durch die Familien der in Giebelstadt stationierten Amerikaner sprach sie fließend englisch und spürte daher den Drang, einige Jahre mit unseren Schwestern in New Jersey das Leben zu teilen. Schnell baute sie in Yardville eine Jugendgruppe und einen Antonia-Werr-Kreis auf, knüpfte Freundschaften und war ein lebendiges Aushängeschild für unsere Gemeinschaft. „Was für ein Schock, die Todesnachricht von Sr. Claudia zu erhalten“, schreibt Denise Rile, die das sog. Visitation Home gegründet hat, ein Haus, in dem Menschen mit und ohne Behinderung zusammen leben. „Wir haben gerade noch über sie gesprochen und wie sehr wir sie lieben und vermissen. Sie hat jeden mit der Liebe Christi geliebt.“

Auch der Auftrag unserer Gemeinschaft, Mädchen und Frauen zu begleiten, war Sr. Claudia ein Herzensanliegen. In den drei Monaten, die sie in Südafrika verbracht hatte, wurde sie nicht müde, den jungen Schwestern Mutter Antonia nahe zu bringen. Immer wieder zitierte sie Aussagen unserer Gründerin auf Englisch: Trust in Him, He is leading you, He is guiding you, have courage!“ (Vertrau auf ihn, er führt, er leitet, nur Mut!). Sie liebte das Siegel der Kongregation „Gott ist die Wahrheit“ und verehrte die Menschwerdung Gottes.

In einem Interview in unserer Zeitschrift LUPE wurde Sr. Claudia einmal gefragt, wie sie am liebsten die letzte Stunde ihres Lebens verbringen würde. Ihre Antwort ließ nicht auf sich warten: „Da zitiere ich Antonia Werr: Ich vertraue darauf, dass Gott mich in der letzten Stunde meines Lebens an den Platz stellen wird, an dem er mich haben will.“

„Lass mich bald sterben, Jesus!“, bat sie schließlich in einem Brief, den sie mir am 12. September schrieb. Jesus, ihr bester Freund, hat ihr diesen Wunsch am Fest Kreuzerhöhung erfüllt. Wir glauben und vertrauen, dass sie nun einen Platz für immer an seiner Seite hat.

Sr. M. Katharina Ganz
Generaloberin