Pilgersehnsucht Santiago

Vorfreude, Euphorie, Energie, aber auch die Frage: „Schaffen wir das?“ prägen den Aufbruch gen Spanien. In 13 Jahresetappen dem Ziel entgegengehen.

13. Mai 2008: Nach einem Gottesdienst und dem Reisesegen von Abt Michael Reepen (Benediktinerabtei Münsterschwarzach), Glockengeläute und unter den Klängen der „Schwarzier Buam“ wurden wir verabschiedet. Über 100 Pilger*innen im Alter zwischen zehn und fast 70 Jahren machten sich auf einen fast 2.700 km langen Pilgerweg von Münsterschwarzach nach Santiago de Compostela. Ich brach auf, war unterwegs mit Menschen, von denen ich nur wenige kannte und die mir auf dem Weg ans Herz wachsen und vertraut werden sollten.

Doch schon am ersten Tag merkten wir, dass es kein Spaziergang wird. Bis Kitzingen liefen alle noch frohen Mutes und in forschem Tempo, meistens zu schnell. Aber die Hitze, der Staub, der Asphalt, die Erschöpfung und erste Blasen machten zunehmend zu schaffen. Manch eine*r erreichte die erste Etappe bis Ochsenfurt nicht zu Fuß und viele kamen an ihre Belastungsgrenze. Doch mit jedem Tag wurde es besser. Die Füße – trotz vieler Blasenpflaster und Tapes – und der Kopf gewöhnten sich ans Laufen. Die Sinne freuten sich auf die Eindrücke des Tages, die Gespräche, das Singen die Gottesdienste, die tolle Landschaft, so nah und doch so unentdeckt und neu, so anders erlebbar als mit dem Auto oder Fahrrad. Aber jede*r genoss auch Zeiten der Stille und des Alleinseins mit sich und Gott. Am Ende jeder Jahresetappe fehlte uns das tägliche Unterwegssein, das Beten mit den Füßen. Still im Bus sitzen, zuletzt über Stunden und Tage, wurde zur Qual, Laufen im eigenen Rhythmus eher zur Erholung, besonders für Geist und Seele. So kamen wir Stück für Stück erst durch Franken, weiter durch Baden-Württemberg, über den Bodensee, durch die Schweiz und Frankreich. Wir überquerten die Pyrenäen und pilgern jetzt in Spanien. Wir übernachteten in Pfarrheimen, Turnhallen, Hütten, Bunkern, anrüchigen Etablissements, Pferdehöfen, Klöstern, Pensionen, Hotels. Meist hat man uns sehr herzlich aufgenommen und wir begegneten Menschen aus allen Kontinenten und zahlreichen Ländern dieser Erde. Menschen unterwegs, auf der Suche, die einem Ziel, nicht nur geographischer Natur, entgegenliefen, alleine, zu zweit oder in Gruppen in einem offenen, herzlichen und friedlichen Miteinander. Wir liefen bei Sonne, Hitze, Regen, Gewitter, Schnee, durchquerten grandiose Landschaften, aber überstanden auch eintönige Wegstrecken. Hatten Blasen, Schmerzen, wurden krank und zwei Mitpilgernde sind inzwischen am Ziel ihrer Lebensetappe angelangt. Wir spürten und spüren den Wert und die Kraft einer Gemeinschaft, des Redens, Schweigens, Singens und Betens. Wir erleben die Talente, die Jede und Jeder in die Gruppe einbringt, aber auch die Hilfsbereitschaft und Hilfsbedürftigkeit.

Und dieses Jahr 2020 kommen wir ans Ziel! … so dachten wir. Doch manchmal kommt es anders als man denkt. Aufgrund der derzeitigen Corona bedingten Reiseeinschränkungen mussten wir die Ankunft in Santiago auf nächstes Jahr, so Gott will, verschieben. Dann ist dafür auch die Kirche renoviert und die eine oder der andere, die in diesem Jahr nicht dabei sein hätte können, ist vielleicht wieder dabei, immerhin sind wir noch etwa 60 Pilger*innen. Beginnen wir, wie beim Pilgern, jeden Tag, jede Etappe, jedes Jahr und jeden Lebensabschnitt auf gut fränkisch „in Gott‘s Namen!“

Michael Moser
Studienrat, Von-Pelkhoven-Schule

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