Der wahre Preis – Umdenken für eine andere Welt

Kürzlich habe ich das Buch „Unsere Welt neu denken“ von Maja Göpel gelesen. Sie lädt darin ein, herauszutreten und von außen auf die so genannte Box zu blicken, die unser gesell­schaftliches und wirtschaftliches System darstellt. Sie betrachtet diese Box aus unterschiedlichen Perspektiven, erklärt Zusammenhänge und zeigt auf, weshalb es sich lohnt, das derzeitige System zu hinter­fragen und umzudenken. Sie geht dabei unter anderem auf die Themen Verteilungs- und Generation­en­ge­rechtigkeit ein. Sie wirft die Frage auf: Was ist der wahre Preis für unseren Lebensstil und wer bezahlt ihn?

Schauen wir auf Kleidung: Das Thema hat die Christliche Initiative Romero intensiv untersucht. Der Trend erfordert, immer wieder neue Kleidungsstücke zu erwerben. Die Textilindustrie hat sich auf die so genannte schnelle Mode (Fast Fashion) eingestellt. Zwischen den Jahren 2000 und 2015 hat sich die Textilproduktion weltweit verdoppelt. Weltweit werden pro Jahr mehr als 100 Milliarden Kleidungsstücke herge­stellt – mehr als alle Menschen auf unserem Planeten jemals tragen könnten. Jede*r Deutsche kauft pro Jahr statistisch etwa 60 Kleidungsstücke. Wussten Sie, dass der Baumwollanbau pro T-Shirt etwa 2.000 Liter Wasser benötigt? Oder dass weltweit in der Modeindustrie jährlich 79 Milliarden Kubikmeter Wasser verbraucht werden? Das entspricht eineinhalb Mal dem Bodensee! In Ländern wie Bangladesch oder Pakistan, in denen hauptsächlich Textilien verarbeitet werden, sinkt der Grundwasserspiegel, wodurch die Trinkwasserversorgung und die Landwirtschaft in diesen Regionen bedroht sind. Wenn es um faire Bezahlung geht, sieht es nicht besser aus. Was glauben Sie, welchen Anteil ein*e Näher*in an einem T-Shirt bekommt, das 19 Euro kostet? Zehn Cent! Und das bei oft gesundheitsgefährdenden Bedingungen am Arbeitsplatz. Vielen Arbeiter*innen in den Nähereien reicht der Lohn nicht aus, um ihre Familien mit nahrhaften Lebensmitteln zu versorgen. Zahlen also diese Menschen und die Natur in den entsprechenden Ländern den wahren Preis dafür, dass wir unsere Kleidung so günstig kaufen können?

Der Wahrheit auf der Spur soll das Thema Wasser etwas genauer unter die Lupe genommen werden. Das Water Footprint Network (Netzwerk Wasserfußabdruck) berechnet für viele Produkte das so genannte virtuelle Wasser. So heißt das Wasser, das zur Herstellung dieses Produkts notwendig ist. Vielleicht trinken Sie – wie ich – gerne mal eine Tasse Kaffee. In dieser Tasse Kaffee sind allerdings nicht nur die 200 Milliliter Wasser enthalten, die in die Tasse passen, sondern 140 Liter versteckt, also eine knappe Badewanne voll. Wie kommt das zustande? Zum Wachsen muss die Kaffeepflanze bewässert werden. Die Kaffeebohnen werden verarbeitet, was ebenfalls Wasser verbraucht und verschmutzt. Für ein Kilogramm Kaffee werden in der Herstellung 21.000 Liter Wasser verwendet. Dies entspricht in etwa dem Inhalt eines Pools mit einem Durchmesser von fünf Metern. Für die Produktion eines Autos werden übrigens etwa 400.000 Liter Wasser benötigt, für ein Blatt Papier etwa zehn Liter. Eine Person in Deutschland verbraucht pro Tag durchschnittlich circa 120-125 Liter Trinkwasser. Berechnet man das virtuelle, also nicht sichtbare Wasser, so liegt der Durchschnitt bei rund 4.000 Liter pro Tag.

Die FridaysForFuture-Bewegung macht seit 2018 immer wieder die breite Öffentlichkeit auf den Klimawandel aufmerksam und darauf, dass wir alle dazu beitragen. Dabei wird üblicherweise der Ausstoß an klimaschäd­lichen Gasen gemessen als Kohlendioxid (CO2) betrachtet. Im Jahr 2015 einigten sich in Paris fast 200 Länder darauf, die Erderwärmung auf möglichst nicht mehr als 1,5 Grad zu begrenzen. Damit das gelingen kann, darf nur noch eine gewisse Menge an klimaschädlichen Stoffen in die Atmosphäre gelangen. Um in einer Metapher von Professor Ottmar Edenhofer, dem Leiter des Potsdam-Institut für Klimafolgen­forschung (PIK) zu sprechen: Stellen Sie sich die Atmosphäre als Badewanne vor: solange der Wasserhahn noch läuft, wird sie irgendwann einmal voll sein. Nun gibt es Berechnungen, wie viel Kohlen­dioxid die Atmosphäre (im Bild gesprochen: die Badewanne) noch aufnehmen kann, damit das 1,5-Grad-Ziel eingehalten werden kann (die Badewanne also nicht überläuft). Beim derzeitigen Ausstoß der gesamten Menschheit wäre die Bade­wanne noch vor dem Jahr 2030 voll. Legt man die noch zur Verfügung stehende Gesamtmenge auf alle Menschen um, hätte jede*r noch circa 40 Tonnen Kohlendioxid zur Verfügung. Hier in Deutschland liegt der Ausstoß pro Kopf aber bei etwa 11 Tonnen pro Jahr. Somit dürften wir noch etwa 3,5 Jahre lang Kohlen­dioxid ausstoßen und danach überhaupt nichts mehr. Da haben es Menschen in Afghanistan besser. Sie stoßen pro Jahr und Kopf nur etwa 0,3 Tonnen Kohlendioxid aus und dürften somit noch über 133 Jahre Kohlendioxid ausstoßen. Wir alle wissen, dass dem nicht so ist. Wir werden weiter sehr viel mehr ausstoßen als Menschen in ärmeren Ländern.

Der Discounter Penny hat in einer Berliner Filiale für wenige ausgewählte Produkte den wahren Preis inklusive Auswirkungen auf die Umwelt direkt am Regal sichtbar gemacht – durch zwei Bepreisungen. Dort stehen dann zum Beispiel für 500g Hackfleisch der Verkaufspreis von 2,79 Euro und daneben die ‚wahren Kosten‘ von 7,62 Euro. Würde man die in der Lieferkette anfallenden Auswirkungen von Energie, Landnutzung, Stickstoff und Klimagase berück­sichtigen, würde das Kilogramm Hackfleisch somit 15,25 Euro statt 5,58 Euro kosten, also fast das Dreifache. Bei Biohackfleisch wäre es übrigens nur etwas mehr als doppelt so viel (20,38 Euro statt 9,00 Euro). Mit dieser Aktion möchte Penny in seinem ersten Nachhaltigkeits-Erlebnismarkt mehr Bewusst­sein für die Folgekosten des Konsums bei Verbraucher*innen schaffen.

Zurück zum Buch von Maja Göpel: Die Autorin greift darin auch die Theorie der Gerechtigkeit des US-amerika­nischen Philosophen John Rawls auf. Dieser stellte Anfang der 1970er Jahre ein Gedanken­experi­ment an. Stellen Sie sich vor, Sie legen gemeinsam mit anderen die Regeln für das Zusammenleben in der Welt fest, ohne zu wissen, in welche Familie, welches Land, welche Umstände Sie hineingeboren werden. Welche Grundsätze des Zusammenlebens würden Sie wählen?

Die oben genannten Beispiele könnten dazu verleiten, den Kopf in den Sand zu stecken, doch wir haben sowohl die Verantwortung als auch die Chance zum Handeln. Die gute Nachricht lautet: Wir können unseren Beitrag leisten, indem wir entscheiden, ob und was wir kaufen, woher es kommt, wen wir dadurch unterstützen. Allein fünf Blätter Papier einzusparen reduziert die tägliche Wasserbilanz bereits um 50 Liter! Und wenn wir Kleidung im Second-Hand-Laden einkaufen, wird dafür überhaupt kein zusätzliches Wasser benötigt. Auch wenn es mühsam und zum Teil undurchsichtig ist, lassen wir uns mit den Worten von Dorothea Brande einladen: „Handle so, als sei Scheitern gar nicht möglich!“.

Sr. Beate Krug

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