Stets an der Seite der Armen und Kranken, Verwundeten und Bedürftigen

Aus Lateinamerika stammt der Satz: „Wer in Gott eintaucht, taucht bei den Armen wieder auf.“ Mit diesem Satz möchte ich das Leben von Schwester Lucella überschreiben.

Eingetaucht in das Leben ist Schwester Lucella am 15. Februar 1930 in Reichenbach-Waldbronn, Landkreis Karlsruhe, geboren. Eingetaucht in das Leben Jesu und in die Gemeinschaft der Kirche wurde sie am 22. Februar. Bei ihrer Taufe erhielt sie den Namen Irma Amanda. Sie war die Älteste von sechs Geschwistern. Einer ihrer Brüder wurde später Missionsbenediktiner in St. Ottilien. Sie besuchte die Volksschule in Reichenbach und anschließend wegen der Kriegswirren nur ein halbes Jahr die Berufsschule. Von 1946 bis 1952 war sie in der Spinn- und Weberei in Ettlingen tätig.

Schon früh spürte Irma den Ruf zur Nachfolge und hatte den Wunsch in die Mission zu gehen. Im September 1952 trat sie als 20-Jährige hier ins Kloster Oberzell ein und wurde zur Krankenschwester im Juliusspital Würzburg ausgebildet. Nach der beruflichen Ausbildung wurde Irma 1956 ins Noviziat aufgenommen und erhielt bei ihrer Einkleidung den Namen Schwester M. Lucella. Ein Jahr später legte sie 1957 die Gelübde für drei Jahre ab und versprach 1960 für die Zeit ihres Lebens arm, gehorsam und ehelos zu leben. Im vergangenen Jahr konnte Schwester Lucella noch ihr eisernes Professjubiläum feiern.

Zunächst war sie als Krankenschwester im Mutterhaus eingesetzt und bereitete sich für ihren Einsatz in der Mission vor. Im Januar 1961 reiste sie mit Schwester Elkana Griebel und Schwester Rosa Drescher mit dem Schiff ins Zululand, wo sie drei Wochen später in Durban landeten. Beide Schwestern sind im vergangenen Jahr vor ihr zu Gott heimgegangen.

In Südafrika lernten Schwestern Lucella und Schwester Elkana Englisch und Zulu. Sie mussten noch einmal eine Qualifikation in der Krankenpflege erwerben, weil ihr deutscher Abschluss in Südafrika nicht anerkannt wurde. Zusätzlich besuchte Schwester Lucella einen Hebammenkurs in Nongoma. Nach dem bestandenen Examen wurde Schwester Lucella von 1964 bis 1986 in Mbongolwane als Krankenschwester und Hebamme eingesetzt. Von 1971 bis 1980 war sie auch Oberin des Schwesternkonventes.

Zwölf Jahre lang Regionaloberin in Südafrika

Beim Generalkapitel 1983 wurde sie zur Regionaloberin der Region der hl. Clara gewählt. Diese Aufgabe füllte sie zwölf Jahre lang aus. Nach meiner Rückkehr aus Südafrika habe ich im Advent länger mit ihr über die Entscheidungen gesprochen, die in diese Zeit gefallen sind. Unter anderem hatte Schwester Lucella den Neubau des Schwesternkonventes in Mbongolwane zu verantworten. Eine große Hilfe war, dass die Missionsbenediktiner vor Ort fachkundige Brüder hatten, die mit Rat und Tat zur Seite standen. „Heute haben es die Schwestern viel schwerer“, sagte sie mir im Dezember.

Schwester Lucella beendete ihren Dienst im Krankenhaus von Mbongolwane 1987. Das bedauerten vor allem die Patienten. Denn sie war sehr beliebt und eine fachlich kompetente Krankenschwester. Als Regionaloberin unterstützte Schwester Lucella die Eröffnung eines Nähcenters und eines „place of safety“ für schwangere Frauen und junge Mütter sowie wie des Kinderheimes St. Joseph.

1995 wurde in Ntabankulu in der Diözese Kokstad, ein dritter Konvent eröffnet. Zusammen mit Schwester Marwiga Schenk zog Schwester Lucella dorthin. Beide arbeiteten in der Katechese und Pfarrei, machten Hausbesuche und bereiteten Kinder auf den Empfang der Sakramente vor. Bei ihrem Heimaturlaub 2006 verunglückte Schwester Lucella auf der Treppe des Haupteingangs zum Mutterhaus und konnte nach ihrem Schulterbruch nicht mehr nach Südafrika zurückkehren. Von da an verbrachte sie ihren Lebensabend im Franziskushaus und brachte sich dort in den Konvent ein. Im September 2019 zog sie auf die Pflegestation des Antoniushauses um.

Eine Stütze, auf die man sich verlassen konnte

In beiden Konventen war Schwester Lucella auch im Ruhestand eine Stütze, auf die man sich verlassen konnte. Als Mitglied im Heimbeirat setzte sie sich für die Bewohnerinnen und ihre Belange ein. Klar und deutlich sagte sie ihre Meinung. Im Refektor hatte sie einen Platz, von dem sie aus den ganzen Speiseraum überblicken konnte und ein wichtiges Bindeglied war zum Personal.

Zusätzlich übernahm sie das Austragen von Zeitschriften, betete das Stundengebet vor und kümmerte sich um vieles. Sie war liebenswürdig und immer hilfsbereit. Still, höflich und zurückhaltend hielt sie sich gerne im Sessel in ihrem Zimmer auf, liebte die Natur und frische Luft. Besonders gern beobachtete sie die Vögel am Häuschen auf ihrem Balkon und verbrachte viel Zeit für ihr geistliches Leben. Bis zuletzt verfolgte sie aufmerksam, was im Erzbistum Freiburg vor sich ging und las eifrig das Konradsblatt.

Trotz ihrer körperlichen Einschränkungen hatte Schwester Lucella Strategien, eigenständig zu bleiben und nur sehr wenig Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das war ihr enorm wichtig. Zu ihren Angehörigen hatte sie guten Kontakt. Jeden Sonntag telefonierte sie mit ihrem Bruder.

Im Dezember verschlechterte sich ihr Allgemeinzustand. Sie fand Ruhe und Kraft im Gebet. Am Sonntag, 8. Januar, dem Fest der Taufe Jesu, gab sie mit 92 Jahren im Kreis der Schwestern Gott ihr Leben zurück.

Auf die Todesnachricht meldeten sich auch Menschen aus Südafrika. Fr. Zanemvula Major Puluwana aus Ntabankulu schreibt: „Es macht mich traurig, dass Schwester Lucella gestorben ist. Was für ein guter Mensch sie war. Ich vermisse sie wirklich. Sie bereitete uns immer ein herzliches Willkommen, wenn ich sie mit Br. Bernard im Konvent in Deutschland besuchte. Ich habe wundervolle Erinnerungen an unsere Zeit in Ntabankulu. Wir teilen schöne Momente als Familie Gottes. Ich werde sie in mein Gebet einschließen. Möge sie ruhen in Frieden.“
Mrs Faith Mtimkulu aus Mount Ayliff schreibt: „Ich kann mich sehr gut an sie erinnern. Sie war so hingebungsvoll in ihrer Arbeit mit den Armen und Bedürftigen.“

Liebe Schwester Lucella. „Wer in Gott eintaucht, taucht bei den Armen wieder auf.“
Der Wiener Pastoraltheologe Paul M. Zulehner schreibt dazu:

„Wer in Gott eintaucht,
taucht neben den Menschen,
vorab den Armen/ Armgemachten auf.

In Gott Eingewurzelte ‚erben‘ von Gott
eine hohe Aufmerksamkeit
für das Leid der Menschen.
Gottnähe macht leidempfindlich.
In einer Kultur des Wegschauens
üben solche Menschen das Hinschauen.

Wer mystisch gottvoll wird,
kann dann gar nicht anders
als in Gottes Art zu sagen:
‚Ich kenne ihr Leid.‘ (Ex 3,7)
Das ist das Markenzeichen
jener Gemeinschaft,
die sich Gottes Volk nennt.“

Liebe Schwester Lucella. Ein Leben lang bist Du in das Leben Gottes und Jesu Christi eingetaucht und bei den Menschen wieder aufgetaucht, besonders an der Seite der Armen und Kranken, Verwundeten und Bedürftigen. In der Begegnung mit den Menschen hast Du Gott gefunden. Gottes- und Menschendienst gehörten für Dich immer zusammen. Du bist nun ganz in Gottes Leben eingetaucht. Dankbar feiern wir das Auferstehungsamt für Dich.

Sr. Katharina Ganz