Am Abend des 20. Januar rief Gott unser Mitschwester Sigharda Müller in sein ewiges Leben. Sie starb am Vorabend des Gedenktages der hl. Agnes. Auf den Namen Agnes hatte Schwester Sigharda seit ihrer Taufe gehört. In „Agnes“ schwingt das lateinische „Agnus“ mit. Deshalb wird sie oft mit einem „Lamm“ in Verbindung gebracht.

Schwester Sigharda hat ihre Beerdigung selbst gut vorbereitet. Sie hat die Lieder ausgesucht für ihr Requiem und wünschte sich als Motiv für ihr Sterbebildchen die Statue der hl. Agnes mit dem Lamm, die sie auf dem Weg zur Paramentenstickerei jahrelang gesehen hat.

Sie hinterließ auch eine Mappe mit autobiografischen Aufzeichnungen. Über ihre Herkunft aus Premenreuth im Landkreis Tischenreuth in der Oberpfalz schreibt sie:

Ich wurde am 23. Mai 1938 geboren, als Mädchen. Den Namen Agnes gaben mir meine beiden Großmütter, da meine Mutter einen Sohn erwartete. Mit drei Geschwistern (zwei Brüder und einer Schwester) bin ich aufgewachsen. Die zwölf Jahre jüngere Schwester habe ich mir erbetet. Ich habe sie sehr geliebt. Mein Vater war Bundesbahnbeamter im Innendienst. Da er nicht bei der Partei war, wurde er sehr beobachtet. Das gab Spannungen, auch zuhause. Wir wohnten im Haus meiner Großmutter. Da ging es uns gut. Ich ging mit meiner Oma zur Rorate, wir beteten abends den Rosenkranz. Unsere Kommunion-Vorbereitung durch unseren Pfarrer ging bei mir sehr tief. Nach der Erstkommunion schickte mich meine Mutter alle Herz-Jesu-Freitage zu den Sakramenten. Es entstand in mir eine Sehnsucht, ich konnte sie nicht beschreiben.

Die Volksschule war vor Ort von 1944 bis 1951. Dann wechselte ich zur Staatlichen Mittelschule nach Neustadt an der Waldnaab. Nach der Mittelschule (mittlere Reife) hatten wir im Exerzitienhaus Johannisthal Exerzitien durch unseren Jugendpfarrer Anton Maier. Am letzten der drei Tage fragte ich ihn wegen meiner ‚Sehnsucht‘. Er meinte: ‚Achte auf deine Neigungen.‘ Kloster!

Ich erzählte es meiner Mutter sie sagte: ‚Gehe jetzt noch nicht ins Kloster, zuerst lerne einen Beruf. Wenn Du dann gehen willst, ja.‘ Es war Juli 1954. Ich hatte schon meine Lehrstelle bei der Kofferfabrik BERMAS in Erbendorf. So wurde ich als Industrie-Kauffrau ausgebildet. Dann wechselte ich in die Stadt Weiden. Bei meiner neuen Stelle bei der Bau-Firma Striegel war ich in der Bauwasserabteilung tätig, als Stenotypistin, d. h. Briefe aufnehmen und schreiben und als Fakturistin. Es kamen für mich Zeiten und Gelegenheiten zu tanzen, Kino-Besuche, Zeiten des Widerspruchs, Zeiten der Entscheidung: Familie oder ?

Es war um Pfingsten 1959. Drei Franziskaner aus Würzburg missionierten in unserer Pfarrei. Als letztes Beichtkind an einem Tag abends, ging ich zu Pater Ingbert Franz. Ich erzählte meine Umstände Feigheiten und doch Sehnsucht. Er machte mir Mut und er gab mir die Adresse von Oberzell. Über den 17. Juni 1959 war ich in Oberzell Gast und entschied mich. Am 12. September bin ich dann eingetreten.“

Krankenschwester und Lehrschwester

Als Kandidatin wurde Agnes im Juliusspital Würzburg als Krankenschwester ausgebildet. Danach wurde sie im Oktober 1962 eingekleidet und erhielt den Namen Schwester M. Sigharda. Nach dem Noviziat legte sie 1964 die Erstprofess ab und wurde nach Rosenheim versetzt. Über diese Zeit hält sie fest:

Beruflich ging das Lernen erst richtig an im kleinen Privat-Krankenhaus Dr. Golling. Auch klösterlich und spirituell musste ich mich erst zu bewegen lernen. Wir waren neun Mitschwestern. Von Oktober 1964 bis Januar 1966 war dort meine klösterliche Heimat und Wirkungskreis. Die Arzt-Familie war uns gut gesonnen. Dann kam der Abschied recht schnell. Mit Sr. Nikolata durfte ich nach USA, um in einem Krankenhaus Erfahrungen zu gewinnen.“

Nach einem knappen Jahr kehrten beide zurück, und Schwester Sigharda wurde im Juliusspital auf der medizinischen Station und im Labor eingesetzt. 1967 legte sie die Profess auf Lebenszeit ab. Sie belegte einen einjährigen Lehrgang für leitende Aufgaben in Krankenhäusern und Krankenpflegeschulen in Köln-Hohenlind und wurde danach als zweite Lehrschwester im Juliusspital eingesetzt. Für ihre neuen Unterrichtsfächer Pädagogik, Psychologie, Soziologie und Humangenetik gab es noch keine Bücher. Sie musste sich alles selbst erarbeiten. Neben der Theorie gab es kaum noch Zeit für die Praxis.

Nach acht Jahren als Lehrschwester kam Schwester Sigharda 1976 als Krankenschwester ins Kreiskrankenhaus Monheim. Und drei Jahre später nach Kutzenberg bei Bamberg als Stationsschwester auf der Orthopädischen Frauenstation bis 1982. Als das Bezirksklinikum am Obermain eine Krankenpflege-Hilfe-Schule eröffnen musste, wurde sie erneut als Lehrschwester angefragt. Ein leer stehendes Gebäude wurde zur Schule umgestaltet mit zwei Lehrsälen sowie einem Unterrichtsraum. Dort vermittelte Schwester Sigharda die praktische Theorie anhand von Skeletten, Puppen oder anderem Anschauungsmaterial. Später wurde der einjährige Lehrgang auf drei Jahre ausgeweitet. Neue Fachgebiete wie Rheuma und Thoraxchirurgie sowie Praktika für Bauchchirurgie an der Kinderklinik in Lichtenfels und Coburg kamen dazu. Sie erinnert sich:

Selbst musste ich mich immer wieder neu einfinden. Ich bekenne: öfter bin ich in das Vertrauen gesprungen! Es war 13 Jahre gut gelungen, ich durfte, musste, habe viel gearbeitet, besser nicht ich, sondern Gottes Gnade gab das Gelingen. Es war ein erfülltes Leben mit jungen Menschen. Mit der Klinik Kutzenberg war auch die Pfarrei Prächting verbunden. Wir waren als Schwestern-Konvent ehrenamtlich in liturgische Dienste und a. m. eingebunden. Ich war im Pfarrgemeinderat und konnte Kinder zur Ersten Heiligen Kommunion vorbereiten. So gefüllt gingen die Jahre in Kutzenberg dahin.“

Im März 1995 wurde Sr. Sigharda ins St. Annaheim nach Würzburg versetzt. Das damals noch von unseren Schwestern geführte Senioren- und Pflegeheim brachte neue Umstellungen mit sich und erforderte viel Einsatz sowie Nachtdienste bei alten Menschen und Kranken. O-Ton Schwester Sigharda: „Ich durfte Frauen erfahren, die Reife und Schicksale erzählen und bewältigen. Daran konnte ich sowohl teilnehmen, als auch helfen und selbst reifen.“

Wechsel zur Paramentik

Die kulturellen und geistlichen Angebote in Würzburg taten ihr gut. Als das Annaheim in unserer Trägerschaft aufgegeben wurde, zog Schwester Sigharda in das Haus St. Raphaelsheim um. Ab Dezember 1999 arbeitete sie in der Paramentik in Oberzell. Aus den ursprünglich vier Wochen wurden 18 Jahre. Täglich fuhr sie mit dem Bus vom Würzburger Bahnhof nach Oberzell und abends wieder heim. Sie schreibt:

Sr. Nathalie und Sr. Justilla haben mich angelernt. Man sagte: ich würde mich eignen, so blieb ich und half mit, Festkleider für das Lob Gottes zu gestalten im Zuarbeiten oder auch selbstständig. Es gab Begegnungen mit jungen Priestern, Primizianten und älteren Priestern. So habe ich manche bei ihren Einsätzen verfolgt. Wir beteten im Stundengebet auch immer für die Priester. Das ging bis 2018, denn ab Januar 2017 sollten wir ausräumen und aufräumen. Wir im Raphaelsheim gehörten zur Pfarrei Stift Haug. Dort war ich ebenfalls im Pfarrgemeinderat, im Liturgie-Kreis als Lektorin und in der Schola bzw. Kommunionhelferin. Auch diese Einsätze wie auch der Besuchsdienst endeten nach und nach.“

Neben der Arbeit in der Paramentenstickerei bot Schwester Sigharda zwölf Jahre lang ehrenamtlich Gedächtnistraining für Senioren in Rottendorf an. Der „Denk-Spaß“ fand von Januar bis Ostern und September bis Weihnachten siebenmal hintereinander am Montag Nachmittag statt. Zusätzlich engagierte sie sich bei Senioren-Freizeiten und begleitete als Krankenschwester die Diözesan-Wallfahrt nach Altötting.

„Ruhezeit“ im Franziskus- und Antoniushaus

Als im März 2018 auch das St. Raphaelsheim geschlossen wurde, kam Schwester Sigharda ins Franziskushaus. Mit dem erneuten Umzug nach Oberzell begann noch einmal ein neuer Lebensabschnitt für sie. Das Franziskushaus erlebte sie als ruhigen Platz, als Ruhezeit:

Ich musste mich schon einigen Operationen unterziehen. Ich fühle mich hier gut angekommen und aufgenommen. Wir sind an einem Gnadenort: Wir haben täglich Gottesdienst. Seit der Zeit der Corona-Epidemie wurde es recht still in unserem Umfeld. Manchmal habe ich schon Sehnsucht nach der Stadt Würzburg. Aber sehr viel herumlaufen könnte ich nicht mehr, um ehrlich zu sein. So muss ich meine Jahre und Gegebenheiten einordnen und mich freuen am Geschenk des Lebens.“

Als im Februar 2022 der Krieg in der Ukraine ausbrach, entschied unsere Gemeinschaft, das Franziskushaus geflüchteten Frauen als Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Schwester Sigharda zog nun ins Antoniushaus um. Auch hier fühlte sie sich wohl. Sie übernahm das Vorbeten und den Lektorendienst, half an der Pforte, teilte das Sonntagsblatt und andere Zeitschriften aus. In unserem Pflegeheim wurde sie als aufgeschlossen und kontaktfreudig, einfühlsam und begeisterungsfähig, zuverlässig und selbstbestimmt erlebt.

Sie pflegte Kontakte zu ihrer Familie, zu Kursteilnehmerinnen, ehemaligen Mitarbeiterinnen, war freundlich, hilfsbereit und höflich. Bei aller Loyalität zu den Vorgesetzten behielt sie sich einen gewissen Eigensinn, reflektierte und kritisierte, was sie nicht einsah. Im Gemeinschaftsleben brachte sie sich ein mit Liedern und selbst verfassten Gedichten. Seit sie im Antoniushaus lebte, beschäftigte sie sich auch mehr mit dem eigenen Sterben müssen. Im August 2022 notierte sie:

Schon vier Monate bin ich im Antoniushaus. Immer wieder wird eine Mitschwester abgerufen. Wann ist es bei mir so weit?! Manchmal – es begleitet mich der Gedanke – bin ich bereit mit einer Sehnsucht. Manchmal zögere ich mit dem Herrn und habe Angst. Mutter Maria, Du hast alles, ich übergebe Dir mich mit allem: Mach alles bereit für die Heimholzeit. Denn es ist Dir alles geweiht.“

Ihre „Heimholzeit“ begann dieses Jahr nach einem Sturz am 8. Januar. Der Bruch am Oberarm konnte nicht operiert werden, weil ihr Herz zu schwach war. Rasch verschlechterte sich dann ihr Allgemeinzustand. Am Gedenktag der hl. Agnes wurde Schwester Sigharda aus der Hausgemeinschaft im Antoniushaus verabschiedet.

Vom Griechischen abgeleitet bedeutet der Name Agnes „rein, geheiligt, geweiht“. Von der Taufe an war Agnes Jesus Christus geweiht. Im Ordensleben und in der Profess hat Schwester M. Sigharda ihre tiefe Sehnsucht vertieft. Feiern wir nun die Eucharistie als Dank für ihr Leben und Wirken und verbinden wir damit unser Gebet, dass Schwester Sigharda rein und geheiligt in Gott geborgen ist.

Sr. Katharina Ganz