Gütig und wohlwollend mit gutem Gespür für das Gefühlsleben ihrer Mitmenschen

Wir Oberzeller Franziskanerinnen feiern an jedem 25. des Monats Weihnachten und stellen an diesem Tag in allen Kirchen und Kapellen die Krippe auf. Sr. Radegundis hat in besonderer Weise aus diesem Weihnachtsgeheimnis gelebt. Deshalb ist es sehr stimmig, dass wir heute, am 25. Mai, von ihr Abschied nehmen. Das Jesuskind, mit dem sie liebevolle Zwiesprache gehalten hat, liegt auch jetzt vor dem Altar in unserer Mitte.

Schwester Radegundis wurde am 20. Dezember 1932, kurz vor Weihnachten, in Mensengesäß, einem Ortsteil von Mömbris im Landkreis Aschaffenburg geboren. Zwei Tage später erhielt sie bei der Taufe den Namen Magdalena Theresia. Ihre Eltern besaßen eine Landwirtschaft, in der Magdalena als Älteste von zwei Geschwister aufwuchs. Ihr Vater war Fabrikarbeiter und verunglückte 1947 mit 51 Jahren.

Wegen des Krieges und Lehrermangels konnte sie jahrelang nicht die Schule besuchen. Nach dem Krieg ging sie noch zwei Jahre auf die hauswirtschaftliche Berufsschule nach Mömbris und arbeitete anschließend fünf Jahre in einer Kleiderfabrik.

Magdalena hatte schon als Kind den Wunsch, ins Kloster zu gehen. Nachdem unsere Gemeinschaft in den umliegenden Ortschaften Filialen hatte, trat sie 1953 im Kloster Oberzell ein. Außerdem waren zwei Tanten Schwester Verecunda und Schwester Reinhildis Rosenberger bereits in Oberzell. Als Kandidatin besuchte Magdalena die Frauenfachschule St. Hildegard in Würzburg für Handarbeit mit pädagogischem Lehrgang und erster Lehramtsprüfung und danach die Frauenfachschule der Armen Schulschwestern in München. Dort legte sie 1957 die Staatsprüfung in Nadelarbeit und Hauswirtschaft ab. In Neumarkt in der Oberpfalz belegte sie einen Ergänzungslehrgang für Hauswirtschaft mit erster Lehramtsprüfung für Hauswirtschaft. Gleichzeitig machte sie eine verkürzte Lehre im Damenschneiderhandwerk mit Gesellenprüfung.

Ratgeberin und Kämpferin

Nach der beruflichen Ausbildung wurde Magdalena am 3. Oktober 1958 ins Noviziat aufgenommen. Mit der Patronin ihres Ordensnamens hatte sie Manches gemeinsam. Als eine der ersten Christinnen im Frankenland wagte die hl. Radegundis von Thüringen im 6. Jahrhundert in der von Männern dominierten Zeit nach eigenen Überzeugungen zu leben und trotzte Standes- und politischen Zwängen. Sie war Diakonin und diente den Armen und Kranken. Der Name bedeutet „Rat und Kampf“. Auch Schwester Radegundis war eine Ratgeberin und Kämpferin.

Nach ihrer zeitlichen Profess 1960 begann sie ihr Berufspraktikum in Wildflecken in der Rhön. 1962 absolvierte sie die zweite Lehramtsprüfung der Lehrerinnen für Handarbeiten und Hauswirtschaft und unterrichtete in Schonungen bei Schweinfurt. Ab 1970 war Schwester Radegundis im Mädchenheim Gauting als Handarbeitslehrerin eingesetzt. 1976 wechselte sie ins Haus Antonia Werr nach Würzburg, wurde dort als Gruppenerzieherin eingesetzt und übernahm das Amt der Oberin im Schwesternkonvent.

Beim Generalkapitel 1983 wurde Sr. Radegundis für sechs Jahre als Rätin in das Leitungsgremium der Kongregation gewählt. Ein weiteres Mal war sie zwischen 1995 und 2001 Generalrätin während der Amtszeit von Sr. Reginarda Holzer.

„Ihre Freundlichkeit ist nicht gekünstelt!“

17 Jahre lang wirkte sie in St. Ludwig als Oberin. In der Zeit zwischen 1989 und 2006 war der zum Mädchenheim gehörende Konvent noch sehr groß. Gütig und wohlwollend wie sie war, vertrauten sich Schwestern und Mitarbeiter*innen ihr gleichermaßen an, erhielten seelsorglichen Beistand, geistlichen Zuspruch, liebevolle Fürsorge und weisen Rat. Schwester Radegundis hatte eine feine, zurückhaltende Art und ein Gespür für das Gefühlsleben ihrer Mitmenschen. Persönliches konnte sie sehr gut für sich behalten. Sie nahm sich immer Zeit für ihre Mitschwestern, konnte gut zuhören und hatte einen Sinn für Schönes. Gerne machte sie Handarbeiten und schenkte selbst Gefertigtes aus den Betrieben. Blühte ihre „Königin der Nacht“ konnte sie auch einmal Mitarbeiter*innen nachts anrufen, um die Schönheit dieser Pflanze zu zeigen.

Es folgten drei Jahre im Bildungshaus Klara, wo sie Oberin war und gerne die Gäste in Empfang nahm. Ein Chefarzt einer Müttergesungsklinik gab ihr einmal ein besonders wertschätzendes Feedback: „Wissen Sie eigentlich, was Sie hier ausstrahlen, was es sonst kaum noch gibt? – Ihre Freundlichkeit ist nicht gekünstelt!“

Schweren Herzens zog Schwester Radegundis 2008 erneut um und übernahm bis 2015 Verantwortung im Konvent Padua. Ihre Liebe zur hl. Klara nahm sie jedoch mit. Zusätzlich kümmerte sie sich um die Sakristei im Antoniushaus. Auch auf der Pflegestation des Antoniushauses machte sie sich in den letzten Jahren noch nützlich und trug jeden Morgen die Zeitung aus. Tagsüber war sie mit ihren Walkingstöcken in der Natur unterwegs und brachte oft Blumen von ihren Spaziergängen mit. In ihren persönlichen Angelegenheiten traf sie weiterhin eigenständig Entscheidungen.

Im gesegneten Alter von 90 Jahren ging sie in den Advent Gottes ein. Vielleicht kam er ihr mit den ausgebreiteten Armen des lächelnden Jesuskindes entgegen in der Stille der Nacht am 20. Mai.

Sr. Katharina Ganz