Eine starke Frau, die gerne half

Wenige Wochen vor ihrem Tod habe ich Schwester Gundrada besucht und mich erkundigt, wie es ihr geht. Sie spürte, dass sich ihr Leben dem Ende zuneigt. Ich fragte sie, ob sie Angst vor dem Sterben habe. „Nein, eigentlich nicht“, antwortete sie, „aber ich weiß ja nicht, was noch auf mich zukommt. Man kann das Sterben ja nicht üben.“

Am Abend des 16. Dezember ist Sr. Gundrada ins Bett gegangen. Als ihre Cousine und Mitschwester Sr. Silvia Lutter später nach ihr schauen wollte, war sie friedlich eingeschlafen. Es muss genau um die Zeit gewesen sein, wo ich – gar nicht weit weg – auf der anderen Mainseite ein vorweihnachtliches Konzert besucht habe. Der Chor des Würzburger Stadttheaters sang unter anderem den Abendsegen aus der Oper Hänsel und Gretel von Engelbert Humperdinck:

 

 „Abends, will ich schlafen gehen,
vierzehn Engel um mich stehn:
zwei zu meinen Häupten,
zwei zu meinen Füßen,
zwei zu meiner Rechten,
zwei zu meiner Linken,
zweie die mich decken,
zweie die mich wecken,
zweie die mich weisen
zu Himmels Paradeisen.“

 Ich sehe das als ihr Vermächtnis an. Mir scheint, dass ihr der letzte Gang nicht schwer gefallen ist. Sie musste gar nicht üben. Er war begleitet von Engeln, die an ihrem Bett standen, als sie sich zum Schlafen gelegt hatte, um ihr den Weg himmelwärts zu weisen.

Geboren war Schwester Gundrada am 13. April 1928 in Aicha bei Kastl in der Oberpfalz als Mittlere von 12 Kindern. Bei der Taufe erhielt sie den Namen Kreszenz. Nach ihrem Volksschulabschluss half sie auf dem elterlichen Hof, bis sie 1946 ins Kloster Oberzell eintrat. Durch die Tätigkeit unserer Schwestern im Krankenhaus von Kastl hatte sich früh der Kontakt zu Ordensfrauen ergeben. Am 4. Mai 1949 wurde Schwester Gundrada ins Noviziat aufgenommen, legte ein Jahr später die zeitliche Profess und am 5. Mai 1953 die Ewige Profess ab. Ihrem Beispiel folgend traten auch ihre leibliche Schwester Eutropia sowie ihre beiden Cousinen Schwester Gregoria und Silvia Lutter in unsere Gemeinschaft ein.

Das halbe Leben in einer Pfarrei gewirkt

In Oberzell wurde Schwester Gundrada zur Handarbeitslehrerin ausgebildet und unterrichtete dieses Fach von 1950 bis 1966 an verschiedenen Grundschulen in Bayern, nämlich in Sommerau, Schonungen, Giebelstadt und Poppenroth. Infolge einer Komplikation bei einer Operation musste sie 1966 ihren geliebten Beruf aufgeben. Mit großer Würde und ohne zu jammern trug sie ihre Jahrzehnte lange Krankheit. Von da an lebte sie bis zur Schließung unserer Filiale 2005 in St. Anton in Nürnberg als Hausschwester. Zur Pfarrei gehörten damals rund 4.000 Katholiken aus 40 unterschiedlichen Nationen. Sie führte den Pfarrhaushalt, war für die Sakristei zuständig, kümmerte sich um die Kirchenwäsche, nähte Ministrantengewänder und Ordenskleider. Von 1968 bis 1978 und 1997 bis 2005 war sie auch Oberin des Schwesternkonvents. Bei ihrer Verabschiedung aus Nürnberg sagte die damals 77-jährige, dass ihr nun eine große Veränderung bevorstehe, nachdem sie ein halbes Leben in St. Anton gewirkt habe. „Aber“, fuhr sie fort, „man geht auch gern zurück, wo man hingehört“ und ergänzte: „In den Ruhestand gehe ich noch nicht“.

In der Tat hat Schwester Gundrada in den letzten 16,5 Jahren, in denen sie im Franziskushaus im Kloster Oberzell lebte, weiter bis zuletzt aktiv das Konventsleben mitgestaltet. Auch hier sorgte sie liebevoll für die Sakristei. Schwester Gundrada war eine starke Persönlichkeit und hatte einen geraden, aufrichtigen Charakter. Klar vertrat sie ihre Meinungen. Sie hatte ein großes Interesse an allem, was in unserer Gemeinschaft, in der Kirche und Politik vor sich ging. Gleichzeitig war sie sehr hilfsbereit. Äußerte man einen Wunsch, wurde er sofort erledigt. Alle staunten über ihr phänomenales Gedächtnis. Als Älteste im Konvent hatte sie bis zuletzt alle Daten im Kopf und konnte sich genau an Ereignisse erinnern. Sie war äußerst zuverlässig und pünktlich, ordentlich und sparsam. Sie sammelte nichts Unnützes und teilte alle Geschenke. Gleichzeitig war sie sehr dankbar für alle Aufmerksamkeiten. Auch an Tagen, an denen es ihr nicht so gut ging, fehlte sie bei keinem gemeinsamen Treffen, denn die Gemeinschaft war ihr sehr wichtig.

Beim Weihnachtskonzert am 16. Dezember sang der Chor des Würzburger Stadttheaters auch die Worte aus Psalm 62:

Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft. Denn er ist meine Hoffnung, mein Hort,
meine Hilfe und mein Schutz, dass mich kein Fall stürzen wird, wie groß er ist.“

Schwester Gundrada war eine große Beterin. Nie versäumte eine Anbetungsstunde und verbrachte viel Zeit in der Kapelle. Einen Tag vor ihrem Tod empfing sie noch das Sakrament der Versöhnung. Noch am Sterbetag nahm sie am Gottesdienst teil, der für ihre verstorbenen Angehörigen war. Am Abend fühlte sie sich ausnehmend müde und wünschte früher ins Bett gehen zu können.

Einige Stunden später war sie friedlich eingeschlafen, ganz so, wie sie es sich gewünscht hatte. Schwester Gundrada ist vor dem 4. Advent heimgegangen zu Gott. Engel haben ihr den Weg gewiesen. In vielen Krippendarstellungen gibt es den sog. Weisengel. Dieser Engel weist den Hirten den Weg zum Stall von Bethlehem.

So ein Weisengel ist Schwester Gundrada für unsere Gemeinschaft gewesen: Sie hat im Alltag mit ihrem Wissen, ihrer Klarheit und ihrer ruhigen Art auf vieles hingewiesen. Sie hat durch ihre Gewissenhaftigkeit, ihre Liebe zur Eucharistie und Anbetung den Weg zum Wesentlichen des Ordenslebens gewiesen. Und sie weist uns durch ihr friedliches Sterben vor Weihnachten den Weg zum Geheimnis der Menschwerdung und zum Krippenkind, wie es der Würzburger Chor am Ende des Weihnachtskonzertes tat:

Vom Himmel hoch, da komm‘ ich her.
Ich bring‘ Euch gute neue Mär,
Der guten Mär bring‘ ich so viel,
Davon ich sing’n und sagen will.
Euch ist ein Kindlein heut‘ gebor’n
Von einer Jungfrau auserkor’n,
Ein Kindelein, so zart und fein,
Das soll eur‘ Freud und Wonne sein.“

 Sr. Katharina Ganz, Generaloberin