Antonia-Werr-Zentrum – Sprachlosigkeit nach Krieg, Trauma und Gewalt – Ein Buch über Zeugenschaft und Gerechtigkeit, vorgestellt von Anja Sauerer.
In ihrem Buch „Weil es sagbar ist“ geht Carolin Emcke der Sprachlosigkeit nach Krieg, Gewalt und Trauma auf den Grund. Sie will dieses Phänomen ergründen und verstehbar machen. Man spürt beim Lesen, dass es ihre eigenen Fragen sind, auf die sie für sich, die Opfer und für die Gesellschaft Antworten finden will.
Es scheint, sie wolle die Sprachlosigkeit und das Schweigen brechen. Der Dialog und die Sprache als Mittler von Empathie und Verständnis werden immer wieder in den Mittelpunkt ihrer Auseinandersetzung gestellt. Für dieses Werk erhielt sie 2016 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. In der Begründung des Stiftungsrates hieß es: „Das Werk von Carolin Emcke wird Vorbild für gesellschaftliches Handeln in einer Zeit, in der politische, religiöse und kulturelle Konflikte den Dialog oft nicht mehr zulassen (…), ihr Werk mahnt, dass wir uns dieser Aufgabe stellen müssen.“
Die Zeitschrift Spektrum der Wissenschaft schreibt: „Emcke wirft die Frage auf, was das Erfahren von Grenzsituationen eigentlich zerstört: die Befähigung, sich mitzuteilen, oder deren Voraussetzung, nämlich das Vertrauen in andere.“
Fragmente der Sprachlosigkeit
„Das Unsägliche geht, leise gesagt, übers Land.“ (Ingeborg Bachmann)
„Bestimmte Erlebnisse scheinen nicht erst die Möglichkeit zu begrenzen, sie zu beschreiben, sondern schon das Vermögen, sie zu erfassen.“ (Carolin Emcke 2016: Weil es sagbar ist, Fischer Taschenbuch Frankfurt am Main, 2. Auflage, S.14)
„Wenn sie `unbeschreiblich´ sind, bleiben sie auch undurchdringlich. Wenn die Erfahrungen nicht, wie immer unvollkommen und gebrochen, beschrieben werden dürfen, wenn nicht einmal der Versuch unternommen wird, ihrer habhaft zu werden, bleiben auch die Opfer für immer damit allein.“ (ebd. S.21)
„Gewalt und Zerstörung überraschen. Sie verletzen nicht nur oder schmerzen, sie irritieren auch. Sie scheinen unbegreiflich – noch bevor sie als unbeschreiblich gelten.“ (ebd. S.30)
„Es gibt keine Vertrautheit mehr mit Worten und Assoziationsfeldern.“ (ebd. S.47)
„Hier `auf dem Grund´, lässt sich der Kern der Sprachlosigkeit entdecken: Wie sollte jemand unter diesen Umständen, der Welt und sich selbst entfremdet, auf eine bloße Sache reduziert, eine Sprache finden?“ (ebd. S.50)
„Ohne das Sprechen mit anderen als eine Form des Miteinanders können wir uns weder unserer selbst noch der Welt wirklich gewiss sein.“ (ebd. S.52)
„Wem die eigene Menschlichkeit dauernd abgesprochen wird, der weiß auch kaum mehr als Mensch zu sprechen. (…) Wer daran zweifelt, ob es richtig ist, sich selbst noch als Mensch zu bezeichnen, wer sich gedemütigt `zur Sache´ hat wandeln sehen, dem verschlägt es nicht nur aus Angst, sondern auch aus Scham die Sprache.“ (ebd. S.53)
Neben diesen Zitaten zur „Sprachlosigkeit“ setzt sich Emcke in ihrem Buch auch mit der Herausforderung Demokratie, Islamfeindlichkeit, liberalem Rassismus oder dem Verständnis von Heimat auseinander.
„`Sofern wir im Plural existieren´, schreibt Hannah Arendt, `und das heißt, sofern wir in dieser Welt leben, uns bewegen und handeln, hat nur das Sinn, worüber wir miteinander oder wohl auch mit uns selbst sprechen können, was im Sprechen einen Sinn ergibt.´ …, wenn wir wollen, dass Demokratie einen Sinn ergibt, müssen wir miteinander sprechen über das, was Demokratie bedeutet, was sie ausmachen kann und muss, damit sie, nicht zuletzt, den Plural, in dem wir existieren, nicht nur bestätigen, sondern auch immer wieder erneuern kann.“ (ebd. S.167)
Dieses Zitat macht deutlich, wie aktuell und herausfordernd gelebte Demokratie im Sinne der Gemeinschaft auch heute noch ist. Wir müssen „im Gespräch bleiben“.
Das Buch ist ein Plädoyer für die heilsame Kraft des Erinnerns und Erzählens. Diese Sensibilisierung stärkt in der Arbeit mit Mädchen und jungen Frauen, diese zu ermutigen ihrem Schmerz Ausdruck zu verleihen, diesen anzuerkennen, um wieder Worte für das Unsagbare zu haben.
Anja Sauerer,
Gesamtleiterin im AWZ