“Sterben für das Paradies – Erlebnisse einer Rettungsmission auf dem Mittelmeer”

Am 11. Juli luden die Katholische Hochschulgemeinde (KHG) Würzburg und der Arbeitskreis “Mehr als 16a” (Artikel 16a Grundgesetz: “Politisch verfolgte genießen Asylrecht…”) zu der Veranstaltung “Sterben für das Paradies – Erlebnisse einer Rettungsmission auf dem Mittelmeer” ein. Referent war Till Rummenhohl, der stellvertretende Vorsitzende des Vereins SOS Méditerranée Deutschland e.V.

Seit 2016 ist der Verein mit dem Schiff Aquarius auf der tödlichsten Seeroute der Welt, zwischen Libyen und Italien, unterwegs. Bei den 250 Rettungseinsätzen konnten bis Ende 2018 etwa 30.000 Männer, Frauen und Kinder an Bord willkommen geheißen und versorgt werden. Herr Rummenhohl nahm die Zuhörer*innen in seinem Vortrag mit erschütternden Bildern, Videos und seinem persönlichen Zeugnis von drei Rettungseinsätzen auf die gesamte “Reise” der Fliehenden – vom Heimatland bis nach Europa – mit.

Herr Rummenhohl skizzierte Fluchtursachen der Hauptherkunftsländer in Subsahara-Afrika, zum Beispiel Senegal, Gambia, Elfenbeinküste oder Nigeria. Auf der einen Seite sind dies totalitäre Staatssysteme, mafiöse Strukturen und Militärdiktaturen. Auf der anderen Seite sind es auch von Europa – von uns – zerstörte lokale Märkte. Gambia war früher bekannt für seine Landwirtschaft, vor allem für den Zwiebelanbau. Subventionierte Importe von niederländischen Zwiebeln, die nur ein Drittel des lokalen Preises kosten, machten die lokalen Märkte kaputt und zwangen Bauern, ihre Lebensgrundlage – die Landwirtschaft – aufzugeben.

Migrationsbewegungen gab es, wie überall auf der Welt, auch in Subsahara-Afrika schon immer. Weltweit sind nach Angaben von UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, aktuell knapp 70 Millionen Menschen auf der Flucht. Nur ein Bruchteil dieser Migrationsbewegung erreicht Europa. Die meisten Migrant*innen bleiben entweder in anderen Regionen im Herkunftsland oder in Nachbarländern. In den Libanon zum Beispiel sind seit dem Beginn des syrischen Bürgerkriegs 2011 über 1 Million Menschen geflohen. Nun ist dort bereits jeder sechste Einwohner ein*e Geflüchtete*r.

In der Zeit vor 2011 gab es in Libyen einen großen Arbeitsmarkt für Menschen aus der Subsahara-Zone. Viele kamen mit Bussen durch die Sahara, um dort ihr Geld zu verdienen. Es gab z.B. im Niger oder im Tschad richtige Busunternehmen, die diese Arbeitsmigration förderten. Nach dem Sturz Gaddafis in Libyen, dem Bürgerkrieg und der politischen Zersplitterung des Landes war das nicht mehr möglich.

Um Migrationsbewegungen zu „kontrollieren“ bzw. zu „reduzieren“, wurden von Europa Verträge mit Libyen und z.B. dem Niger geschlossen. Der europäische Rat beschloss schon 2015 den Niger und weitere Länder bei der Überwachung und Kontrolle ihrer Landesgrenzen und Landwege zu unterstützen. Das Budget wurde damals auf 18,4 Millionen Euro festgelegt.
Wer heute durch den Niger und anschließend durch die Sahara flieht, geht – noch mehr als früher – ein lebensgefährliches Risiko ein. Aufgrund der verstärkten Kontrollen werden von den illegalen Schleusern noch gefährlichere Routen gewählt; völlig überladene Pick-ups fahren vor allem nachts mit 150 km/h und mehr durch die Wüste. Wer vom Auto fällt, bleibt in der Wüste zurück und stirbt. Nur wenn viele Personen vom Auto fallen, würde man anhalten, weil es dann „geschäfts­schädigend“ wäre. Bei einer Person jedoch ist die Gefahr zu groß, entdeckt zu werden.

Nach der Flucht durch die Wüste erwartet die Geflüchteten in Libyen „die Hölle“. Ärzte ohne Grenzen leistet seit 2016 medizinische Hilfe bzw. wird oftmals einfach nur Zeuge der Zustände vor Ort, da die Mitglieder dieser Organisation erst eingreifen dürfen, wenn es einer Person sehr schlecht geht. Migrant*innen werden in Libyen in offiziellen oder inoffiziellen Internierungslagern festgehalten, gefoltert, vergewaltigt; sie erfahren physische und psychische Gewalt und werden erpresst, sich von ihren Freund*innen/Familien Geld schicken zu lassen, um sich freizukaufen, oder werden versklavt. Herr Rummenhohl zitierte einen jungen Somalier, der sagte: „Das Leben in Libyen ist kein Leben. Alle Menschen wenden sich zum Meer, das ist die einzige Möglichkeit zu leben.“ (https://sosmediterranee.de/testimonies/in-eigenen-worten-51-das-leben-in-libyen-ist-kein-leben-alle-menschen-wenden-sich-gen-meer-das-ist-die-einzige-moeglichkeit-zu-leben/).

Um dieser Hölle zu entgehen, riskieren Geflüchtete erneut ihr Leben und begeben sich auf untaugliche, völlig überladene und mit viel zu wenig Benzin und Lebensmittel ausgestattete Boote. Herr Rummenhohl informierte auch, dass Geflüchtete davon berichten, dass sie zur Über­fahrt gezwungen wurden. Nach Angaben von UNHCR sterben täglich mindestens sechs Menschen auf der Flucht im Mittelmeer.

Italien hatte 2013 das Seenotrettungssystem Mare Nostrum in Kraft gesetzt, dieses aber 2014 aus finanziellen Gründen und wegen fehlender europäischer Unterstützung wieder eingestellt. Zivile Seenotrettungsorganisationen, wie auch die SOS Méditeranée, haben im Mittelmeer Rettungseinsätze aufgenommen und dadurch Tausende von schutzsuchenden Menschen vor dem Ertrinken bewahrt. Die Situation hat sich allerdings weiter verschärft, die Arbeit der zivilen Seenotrettungsorganisationen wird behindert, es drohen Strafen und Häfen werden gesperrt. Aus diesen politischen Gründen ist die SOS Méditeranée seit 2019 auch nicht mehr mit ihrem eigenen Schiff Aquarius unterwegs. Seit Juli bedient sich der Verein des gecharterten Schiffs Ocean Viking, um dem Risiko der Beschlagnahmung zu begegnen.

Die EU-Staaten haben die Verantwortung für die Seenotrettung vor der libyschen Küste offiziell an die libysche Küstenwache abgegeben, d.h. Europa nimmt in Kauf, dass Menschen zurückgebracht werden in ein menschenverachtendes und folterndes System.

Was macht uns eigentlich Angst an der Migration und den damit verbundenen Veränderungen in unserem Land? Wo ist das „Wir schaffen das!“ geblieben?, fragte Till Rummenhohl.
Asylsuchende, die uns hier in Deutschland begegnen, sind Menschen auf der Suche nach einer besseren und sicheren Zukunft – ein völlig menschlicher und normaler Wunsch. Er ermutigte dazu, dass sich Jede*r nach den eigenen Möglichkeiten auf den Weg macht, die uns vielleicht noch fremden Menschen zu verstehen, sie zu akzeptieren und zu integrieren – anstatt die Straßenseite zu wechseln oder wegzuschauen. Es ist genug, da sein und den Menschen sehen, der einfach nur menschlich leben möchte.

Sr. Juliana Seelmann und Sr. Beate Krug

Quellen: https://sosmediterranee.de, www.unhcr.org