Sprachlos in Facetten

Musiktherapie – Schreck, Schock und Scham, aber auch Liebe, Rührung oder Überraschung – Sprachlosigkeit kann viele Ursachen haben. Es gibt vielfältige Ansätze, das Reden wieder zu erlangen.

Sprachlos ist man manchmal, Gott sei Dank und im besten Fall, bei freudiger Überraschung sowie bei Erstaunen und vor Rührung. Sprachlos, weil unser Körper mit dem Fühlen und Empfinden sowie mit zahlreichen energetischen Prozessen im Gehirn voll ausgelastet ist und das Sprachzentrum einfach pausieren darf. Sprachlos werden auch Liebende. Plötzlich kommt kein Wort mehr über die Lippen. Wie gut, dass auch Augen, Hände, Lippen, Körper sprechen können. In Exerzitien sucht man ganz bewusst sprachlose Zeit, die wiederum gar nicht so sprachlos bleibt, weil man zum einen einfach nicht nicht denken kann und zum anderen das eigene Leben auf Gottes Spuren lenken möchte, Gott wieder neu entdecken möchte.

Sprachlos zu sein ist oft mit Negativem verbunden. Sprachlosigkeit entsteht in traumatischen Situationen (aus Schreck, Schock, Scham, bei sexuellen und anderen Gewalterfahrungen), bei Vernachlässigung oder auch Überbehütung, durch Mobbing-Erfahrungen, bei destruktivem Umgang mit den neuen Medien. In verschiedenen Krankheitsbildern wie Autismus (ziehen sich zurück und sind gern allein), Mutismus (können aus Angst nicht sprechen), Depressionen, dissoziativen Störungen u.a. sind stumme Phänomene natürlich schneller und häufiger anzutreffen. Sprachlosigkeit kann auch rein organische Ursachen haben wie sie bei Hirnschädigungen (Unfall, Hirnblutung, Tumor) auftreten. Im täglichen Umgang sind es oft die fehlenden sozialen Kompetenzen: Missverständnisse, Beziehungskonflikte, persönliche Themen wie Konkurrenz, Eifersucht, „Gefühls-Achterbahnen“, die sich in ungewöhnlichen Verhaltensweisen äußern und sprachlos werden lassen. Manchmal sind es ganz gewöhnliche Gründe wie Müdigkeit, Aufregung oder im Lachflash. Sprachlos – und es besteht die Möglichkeit zur Therapie, dem Ankommen an einem „sicheren Ort“, an dem man zu zweit ist und erzählen darf, aber nie muss. Man darf selbst wählen, wann und was man sprechen möchte, oder vorerst erst einmal ein bisschen Gitarre oder Klavier spielen, etwas Belangloses einbringen, ein Karten- oder Brettspiel beginnen.

Vielleicht genügt etwas Ablenkung, um Abstand von blockierenden Themen zu gewinnen und auf der Metaebene Verworrenes leichter sortieren zu können. Dabei kann ein Spaziergang helfen, die körperliche Bewegung kann den Mund öffnen und Worte bahnen sich allein ihren Weg. Beim Gehen muss man sich nicht ansehen, kann die Blicke in die Umgebung streifen lassen.

Auch wenn der Mund keine Worte bildet, spricht dennoch der Körper. „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ (Paul Watzlawick) Ein kleines Lächeln kann die Basis für Vertrauen werden und zu wahrhaftigem Sprechen einladen. 

Stellvertretend für eigene Worte kann ein passendes Lied, dessen Text und/oder Melodie, das ausdrücken, was man selbst nicht formulieren kann. Künstler haben eigene Themen in Worte und Töne gegossen und diese Verknüpfung mit Musik ermöglicht es, sich verstanden und geborgen, gar beheimatet zu fühlen. Töne sind Balsam für die Seele. „Die Musik drückt aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.“ (Viktor Hugo) Wer also harte Rhythmen, dissonante Töne und abwertende Texte hört, bringt eigene Themen ins Bewusstsein, drückt sie aus. Bewusst ist auch die Frage nach anderen Titeln, die sehr wohl ebenfalls als schön empfunden werden, aber Positiveres und Lebendigeres beinhalten. Sie gemeinsam zu hören oder genau diese Texte auswendig zu lernen, kann zur „Musikalischen Hausapotheke“ werden.

Sprachlos werden auch Therapeutinnen. Zu Beginn der Therapiezeit sind sie gezielt und gewollt sprachlos und aktiv hörend, damit Themen eingebracht werden können. Ungewollt sprachlos werden sie, wenn die Themen schockierend sind. Sich dann selbst ans Atmen zu erinnern hilft beispielsweise, sich schneller ins Hier und Jetzt zu bringen, um aufmerksam und zugewandt bleiben zu können. Sprachlos kann man auch im gemeinsamen Schweigen sein. Dieses kann die Qualität von Verständnis und Angenommensein erreichen. Nicht immer ist Reden das „Allheilmittel“. Bestenfalls gelingt es, nicht für alles ein Rezept, einen guten Rat, „den“ Tipp zu haben, sondern so zu begleiten, dass Mädchen und junge Frauen für sich selbst passende Lösungen finden, sie aussprechen und umsetzen lernen.

Sr. Regina Grehl