Signalstörung

19 Geschichten hat Kirsten Fuchs in ihrem Buch zusammengestellt, die unterschiedlicher gar nicht sein könnten, sowohl sprachlich als auch thematisch. Sie erzählen von Alkoholismus und Arbeitslosigkeit, erster Verliebtheit, besonderen Lebenssituationen und Alltäglichem. Die Helden – viele sind Ich-Erzähler – stammen aus den unterschiedlichsten Milieus.Oft geht es in den Geschichten um die DDR, in der die Autorin aufgewachsen ist. Als 1989 die Mauer fiel, war sie gerade12 Jahre alt und hat ihr Geburtsland anders empfunden als die Erwachsenen. „Alle haben mir auf einmal gesagt, dass die DDR nicht toll war. Dass ich meine Liebe beenden soll. Das haben die Erwachsenen gesagt, die vorher sagten, dass die DDR toll ist.“ (Aus: Der Nachtschrank)

Die Geschichten
Fuchs‘ Geschichten sind komisch, schräg, ernst, machen nachdenklich, berühren, manche sind verstörend, grotesk und surreal. Immer wieder findet sie treffende und neue Wortschöpfungen, großartige Vergleiche und Sprachbilder. Eine alltägliche Handlung, die Benutzung einer Taschenlampe, wird beispielsweise sehr poetisch dargestellt. „Nermin geht den langen Flur entlang. Vor ihr läuft das Taschenlampenlicht wie ein sehr heller Hund. Der Lichthund läuft die Wände hoch. Nermin führt ihn an der rissigen Decke entlang Gassi.“ (Aus: Signalstörung)

In der eindrucksvollen Geschichte „Keinjobcenter“ beantragt die Erzählerin beim Jobcenter eine Aufstockung ihrer Bezüge. Immer wieder muss sie Anträge ausfüllen, gegen die jede Steuererklärung ein Witz ist. Endlos lang dauert der Weg durch die mit Hindernissen gespickte Bürokratie und „die Zeit vergeht so langsam, als müsste für jede Minute ein Antrag ausgefüllt und genehmigt werden, damit sie vergehen darf.“ Gekonnt und sprachgewaltig prangert Kirsten Fuchs den Behördenwahnsinn an und die Erniedrigungen, die Antragsteller erleiden müssen. Besonders absurd: Es gibt auch eine Grundsicherung an Humorleistung, einen Hartz IV Witz im Monat, den man aber auch beantragen muss.

In der Erzählung „Aus dem Kellerfenster“ geht es um Helikoptereltern und einen Hausmeister, der in einer Kita arbeitet und zu dessen Aufgaben es gehört, Kaputtes zu reparieren. Köstlich die Stelle, als er einen Drucker gangbar machen muss und sich vorstellt, wie der einzige männliche Erzieher ihm (dem Drucker) gut zugeredet hat. „Das macht er immer, wenn etwas nicht funktioniert“. Zuerst kommen Argumente: „Wir müssen Rücksicht nehmen, du kannst nicht machen, was du willst“, bis am Ende die soziale Isolation als Strafe steht. „Du kommst jetzt runter zum Hausmeister.“ – „Warum bringen sie mir nicht die kaputten Kinder runter?“

Die Autorin
Kirsten Fuchs sagt über sich, ihr sehr stark mündlich geprägter Stil entstehe im Kopf, viele ihrer Stoffe seien so oder so ähnlich selbst erlebt. Im Mittelpunkt stehe ihr Interesse an Menschen. „Ich kämpfe um die Menschlichkeit immer, mit mir und mit anderen und in den Texten auch.”.

Kirsten Fuchs wurde 1977 in Karl-Marx-Stadt (jetzt Chemnitz) geboren. Heute lebt sie in Berlin. Bekannt ist sie aus der Berliner Lesebühnenszene, daneben schrieb sie Kinder- und Jugendromane. Für den Roman „Mädchenmeute“ erhielt sie 2016 den Deutschen Kinder- und Jugendliteraturpreis.

Kirsten Fuchs: Signalstörung, rowohlt Berlin, 18 Euro

Claudia Lüke