Selbstverständliches mutig fordern

Karin Strempel schreibt über zwei Frauen der deutschen Geschichte, die maßgeblichen Anteil hatten, dass die Gleichberechtigung der Frau in die deutschen Gesetze Eingang fand.

Sankt Ludwig. 100 Jahre ist es her, dass Frauen zum ersten Mal zur Wahl gehen und sich wählen lassen durften. Seit 70 Jahren ist im Grundgesetz festgeschrieben, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Was damals Ergebnis eines harten Kampfs war, ist heute für uns in der Bundesrepublik Deutschland selbstverständlich: Frauen und Männer sind per Gesetz gleichberechtigt und bei allen Wahlen wahlberechtigt. Mutige Frauen haben dafür über lange Jahre hinweg gegen viele Anfeindungen und Häme gekämpft. Mit Marie Juchacz und Elisabeth Selbert seien zwei Frauen stellvertretend vorgestellt. Sie haben durch ihr mutiges und engagiertes Einstehen für Frauenrechte die gleichberechtigte Einflussnahme von Frauen in Politik und Gesellschaft entgegen allem weltanschaulich verbrämten Gegenwind eingefordert und letztlich durchgesetzt.

Als erste Frau hielt Marie Juchacz (1879-1956) im Jahr 1919 eine Rede vor einem demokratisch gewählten Parlament, nachdem 37 Frauen durch die Einführung des Frauenwahlrechts in die Weimarer Nationalversammlung gewählt worden waren. In jenen Tagen entsprach das einem Frauenanteil von fast neun Prozent, damals dem höchsten weltweit. Marie Juchacz, SPD-Abgeordnete und Begründerin der Arbeiterwohlfahrt, begann ihre Rede mit folgenden Worten: „Meine Herren und Damen! Es ist das erste Mal, dass in Deutschland die Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf, und ich möchte hier feststellen, (…) dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht (…) Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“ Das sind klare Worte nachdem lange Jahre für dieses Frauenwahlrecht mutig gekämpft worden war.

Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Der Satz im Grundgesetz bildet die Grundlage für eine heute selbstverständliche Weltsicht. Das er so dort steht, haben wir Elisabeth Selbert (1896-1986) zu verdanken. Sie wurde 1948 als eine von vier Frauen in den Parlamentarischen Rat gewählt. Der tagte in Bonn und sollte das Grundgesetz ausarbeiten. Die Weimarer Verfassung hatte sich noch darauf beschränkt, die Frau als Staatsbürgerin gleichzustellen, was bedeutete: Frauen konnten wählen und gewählt werden. Damit wollte sie sich aber nicht zufriedengeben. Sie wollte die uneingeschränkte Gleichberechtigung von Mann und Frau im Grundgesetz festgeschrieben haben. Selbert hat diese im Grunde im Alleingang durchgesetzt – auch gegen den Widerstand der beiden Kolleginnen anderer Parteien (Zentrum und CDU). Heute sind rund 31 Prozent Frauen im deutschen Bundestag und rund 27 Prozent im Bayerischen Landtag vertreten. Hier ist noch deutlich Luft nach oben, damit politische Macht und Einflussnahme für Männer und Frauen gleich verteilt werden.

In unserer Gesellschaft können sich die heutigen jungen Frauen gar nicht mehr vorstellen, nicht die gleichen Bildungs- und Berufschancen wie Männer zu haben. Aber einiges was Gleichberechtigung bedeutet wie z.B. die gleiche Bezahlung für Männer und Frauen bei gleicher Leistung und Qualifikation ist noch immer nicht in allen Berufsbereichen umgesetzt. Und es stellt sich auch die Frage, wann dieses selbstverständliche Recht auf gleichberechtigte Teilhabe und Mitgestaltung im spirituellen, religiösen und kirchlichen Zusammenleben verwirklicht wird.

Wenn Frauen und Männer zusammen mutig sind, sich beteiligen und Einfluss nehmen, bleibt unsere Gesellschaft lebendig, demokratisch und bunt.

Karin Strempel
Psychologische Psychotherapeutin, leitende Psychologin im Antonia-Werr-Zentrum