Osterpredigt: Gespräch mit Maria von Magdala

Osterpredigt im Kloster Oberzell, 9. April 2023

Gespräch am Ostermorgen mit Maria von Magdala

Evangelium: Johannes 20, 1-18

Liebe Maria von Magdala, Du Schwester im Glauben und Erstzeugin der Auferweckung Jesu. Ich kann mich gut in Dich hineinversetzen. Ich kann Deine Tränen verstehen, denn auch ich habe in den letzten Wochen oft geweint.

Am 11. März zum Beispiel: Da saß ich am letzten Tag des Synodalen Weges in der Versammlung in Frankfurt. Der Text zur Frauenordination aus unserem Forum wurde gerade behandelt. Die Liste der Wortmeldungen war lang. Auch ich hatte mich gemeldet. Auf einmal bin ich in Tränen ausgebrochen. Es war mir zunächst peinlich, aber ich konnte es nicht verhindern. Was würde ich sagen, wenn mich der Engel fragte: „Frau, warum weinst Du?“ Ich würde antworten: „Ich finde es ungerecht, wie man(n) mit Dir, Maria von Magdala, umgegangen ist. Du und die anderen Frauen ward die Erstzeuginnen der Auferstehung. Darin sind sich alle vier Evangelien einig. Ihr habt Euer Leben riskiert, als ihr unter dem Kreuz ausgeharrt habt. Die Jünger sind geflohen und haben ihren Freund verleugnet. Als Anhängerinnen dieses Aufständigen aus Nazareth hätten sie auch Euch verhaften und umbringen können. Ihr ward mutig. Ihr habt ihn wirklich geliebt. Trotzdem haben sie Euer Osterzeugnis bald relativiert. Schon im jüngsten Evangelium nach Johannes wurde bereits der Wettlauf der beiden Jünger zum Grab eingebaut. Zwei Männer mussten bestätigen, was Du, Maria, ihnen zuerst verkündet hast. Erst dann glaubte man die Botschaft der Auferstehung. Denn das Zeugnis von Frauen galt in der Antike nichts und wurde als Weibergeschwätz abgetan. Später haben sie eine Sünderin und Büßerin aus Dir gemacht, Maria. So wurdest Du abgewertet und wurde Deine Bedeutung in der Urkirche relativiert.

Was würde ich sagen, wenn mich der Auferstandene höchstpersönlich fragte: „Frau, warum weinst Du?“ Ich würde ihm antworten: „Rabbuni, mein Meister, ich fühle den Schmerz vieler Frauen, die sich in der Kirche engagieren als geistliche Begleiterinnen, in der Pfarrgemeinde oder Krankenhausseelsorge. Etliche leiden darunter, nicht selbst die Krankensalbung spenden zu können oder Menschen zusprechen zu können, dass ihre Sünden vergeben sind. Andere würden gerne predigen, taufen oder die Eucharistie feiern können mit den Gläubigen statt nur Wortgottesdienste anbieten zu können. Ich finde es ungerecht, dass die Berufungen von Frauen missachtet und sie ihre Kompetenzen nicht voll ins kirchliche Leben einbringen dürfen.“

Und auf die Frage: „Wen suchst Du?“ würde ich dem Auferstandenen antworten: „Ich suche Menschen, die Dich mit ihrem ganzen Leben bezeugen und alle Dienste und Ämter und Strukturen in unserer Kirche so gestalten, dass Deine frohe Botschaft glaubwürdig, authentisch, geschlechtergerecht und zeitgemäß verkündet werden kann. Ich suche eine lebendige Kirche, die von Ostern her lebt und den Mut hat, sich von den Gräbern abzuwenden, wo man nur noch den Untergang der Institution verwaltet, aber nicht mehr dem Leben der Menschen dient.“

Und Maria von Magdala, Du Schwester im Glauben und Erstzeugin der Auferweckung Jesu. Ich kann mich gut in Dich hineinversetzen. Ich kann Deine Tränen verstehen, denn auch ich habe in den letzten Wochen oft geweint. Zum Beispiel am 25. März, als ich erfuhr, dass Franz-Josef Bode von seinem Amt als Bischof von Osnabrück zurückgetreten ist. Die Nachricht hat mich völlig überrumpelt. Tagelang hat mich sein Rücktritt beschäftigt und sogar bis in den Schlaf hinein verfolgt. Bischof Bode wurden – wie etlichen seiner Amtskollegen auch – Pflichtverletzungen im Umgang mit Betroffenen sexualisierter Gewalt und mit Tätern nachgewiesen.

Was würde ich sagen, wenn mich der Engel fragte: „Frau, warum weinst Du?“ Ich würde antworten: „Ich würde gerne wissen, warum der Papst andere Kardinäle und Bischöfe im Amt belässt und Bischof Bode entlässt. Zugegeben: Er hat erst mit einigen Monaten Verspätung persönliche Konsequenzen aus seinem Fehlverhalten gezogen. Gleichzeitig wird er mir und vielen anderen Menschen fehlen. Nicht nur im Bistum Osnabrück, wo er entschieden Reformen auf den Weg gebracht hat. Als Bischof, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, als Mitglied des Präsidums beim Synodalen Weg und im Frauenforum hat er Wegweisendes angestoßen, durchgetragen, ausgehalten und erwirkt.“

Was würde ich sagen, wenn mich der Auferstandene höchstpersönlich fragte: „Frau, warum weinst Du?“ Ich würde ihm antworten: „Rabbuni, mein Meister, so sehr ich den Rücktritt von Bischof Bode verstehen kann, so sehr macht er mich auch traurig. In den fünf Jahren, in denen ich ihn als Beraterin in der Pastoralkommission und im Frauenforum erleben durfte, war er für mich beispielhaft in seiner guten Mischung aus theologischer Klugheit, kirchlicher Diplomatie und strategischem Vorgehen. Ich schätzte seine Erfahrung, seine Offenheit, Zuhören Können, Abwägen und Ernstnehmen aller Argumente und Positionen. Als erster Bischof in Deutschland hat er Frauen aktiv gefördert und sich wertschätzend über praktizierte Homosexualität geäußert. Damit hat er Meilensteine gesetzt und sich massiver Kritik ausgesetzt. Das hat seiner Gesundheit schwer zugesetzt.

Und auf die Frage: „Wen suchst Du?“ würde ich dem Auferstandenen antworten: „Ich wünsche mir Menschen in allen Bereichen der Kirche, Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, in Nichtregierungsorganisationen und Ordensgemeinschaften, die Verantwortung wahrnehmen, sich nicht abschotten und verstecken hinter Dogmen, Gesetzen, Traditionen oder Amtsprivilegien, sondern lernfähig bleiben, fehlerbewusst, menschlich und angreifbar. Ich wünsche mir Menschen, die verletzlich bleiben, sich selbst hinterfragen und aktiv die ihnen verliehene Macht und Einfluss nutzen, um Dinge zum Besseren zu wenden, besonders in der Solidarität mit Ausgegrenzten, im Einsatz für mehr Gerechtigkeit, Frieden oder Bewahrung der Schöpfung.“

Maria von Magdala, Du Schwester im Glauben und Erstzeugin der Auferweckung Jesu. Ich kann mich gut in Dich hineinversetzen. Ich kann Deine Tränen verstehen, denn auch ich habe in den letzten Wochen oft geweint. Zum Beispiel in den Tagen nach dem 28. März, als es in unserem Haus St. Raphaelsheim in Würzburg brannte. Eine Frau ist bei dem Zimmerbrand gestorben. Vermutlich wollte sie auch nicht mehr leben. 28 weitere Frauen mussten evakuiert werden.

Was würde ich sagen, wenn mich der Engel fragte: „Frau, warum weinst Du?“ Ich würde antworten: „Es ist so furchtbar mir vorzustellen, auf welche tragische Art und Weise die Frau gestorben ist und wie verzweifelt sie gewesen sein musste. Es ist so schrecklich, das völlig verkohlte Zimmer zu sehen, das aussieht und stinkt wie ein schwarzes Grab.

Was würde ich sagen, wenn mich der Auferstandene höchstpersönlich fragte: „Frau, warum weinst Du?“ Ich würde ihm antworten: „Rabbuni, mein Meister, ich weine, weil allein dieser eine Brand so viel Leid hervorgebracht hat. Die anderen Frauen haben zwar ihr Leben gerettet, müssen aber vielleicht noch ihr restliches Hab und Gut loslassen, weil alles verraucht und mit giftigen Substanzen überzogen ist. Die Frauen, die früher schon wohnungslos waren, haben jetzt wieder ihr Zuhause verloren. Die Ersatzunterkünfte sind alles andere als sichere Herbergen.

Alle, die mit dem Krisenmanagement zu tun haben, sind seelisch erschüttert und emotional stark belastet. Und es ist ja nicht das erste Mal, dass wir Oberzeller Schwestern, unsere Mitarbeiter*innen und Bewohnerinnen unserer Einrichtungen so eine Katastrophe durchmachen müssen.“

Und auf die Frage: „Wen suchst Du?“ würde ich dem Auferstandenen antworten: „Ich wünsche mir trotz und in allem Leid, dass es weiterhin Menschen gibt, die aus dem Glauben an Dich oder aus purer Nächstenliebe aufstehen und anderen zur Wiederaufstehung helfen, indem sie sich für andere einsetzen: Feuerwehrleute und Rettungskräfte, Notfallseelsorger und Ehrenamtliche in den Bahnhofsmissionen und Wärmestuben, Polizisten und Sozialpädagoginnen, Psychiater und Ärztinnen, gesetzliche Betreuer und städtische Wohnungslosenhilfe, Freunde, die ein warmes Essen vorbeibringen, Mitarbeiter, die die Straße kehren; Schwestern, die Kuchen backen und beten sowie Betroffene, die trotz ihrer Not noch ein ‚Danke für Ihre Hilfe‘ über die Lippen bringen.“

Und Sie? Können Sie sich in Maria von Magdala hineinversetzen? Können Sie ihre Tränen verstehen? Was werden Sie dem Engel sagen, der Sie am Grab sitzend fragt: Warum weinst Du? Werden Sie sich dem Auferstandenen zuwenden, der Sie beim Namen ruft und Sie fragt: Warum weinst Du? Wen suchst Du? – Was werden Sie ihm antworten? –

Denn er lebt. Ich habe ihn gesehen.

Sr. Dr. Katharina Ganz