„Orden – Macht – Politik“ war ein Werkstattgespräch am 12. Mai überschrieben, das ich beim 101. Katholikentag in Münster zusammen mit Pater Martin Maier SJ und Schwester Anna Schenck CJ angeboten habe. Inhaltlich ging es um die Rolle von Ordensgemeinschaften in der Politikgestaltung.
Der Auftrag sich aktiv in dieser Welt zu engagieren leitet sich für uns aus der Menschwerdung Jesu her. Wenn Gott die Welt so ernst genommen hat, dass er selbst in Jesus Mensch geworden ist, dann müssen und dürfen wir uns in die Gestaltung der Welt und Kirche miteinbringen. Auch vom Evangelium her begründet sich dieser Einsatz. Die Gottes- und Nächstenliebe beinhaltet ganz klar, dass wir Wege suchen müssen, Armut, Hunger, Krankheit, Not und Ungerechtigkeit zu beseitigen, damit Menschen ein menschenwürdiges Leben führen können.
Für Ordensleute liegt ein weiterer Weg in der sozialen Dimension der Gelübde: Aus der freiwillig versprochenen Armut folgt der entschiedene Einsatz, Menschen beizustehen, die in unfreiwilliger Armut und Elend gefangen sind und Wege zu suchen, Eigentum so zu gebrauchen, dass es dem Gemeinwohl dient. Aus dem Gehorsam entspringt das Hören auf Gott, andere Menschen und die Zeichen der Zeit. Die ehelose Keuschheit um des Himmelreiches willen befähigt uns lautere Beziehungen auf Augenhöhe zu suchen. Unser Leben in Gemeinschaft fordert uns heraus, mit allen Menschen geschwisterlichen Austausch zu pflegen und alle Menschen – unabhängig von ihrer Herkunft, Vergangenheit, Religion, Weltanschauung, ihrem Geschlecht oder ihrer sexuellen Orientierung – als Kinder Gottes zu achten. Das Reich Gottes, das Jesus vorgelebt und verheißen hat, sprengt alle Unterschiede zwischen Mann und Frau, Juden und Nicht-Juden, Sklaven und Freien (vgl. Gal 3,26-28). Dementsprechend sind jede Form religiösen Fanatismus und Fundamentalismus, Diskriminierung Andersgläubiger oder Frauenverachtung nicht mit dem christlichen Glauben vereinbar. Im Verhältnis von Männern und Frauen können uns die Gelübde auch herausfordern, innerkirchlich für mehr Geschlechtergerechtigkeit einzutreten und aufzustehen, wenn Kleriker ihre Macht missbrauchen.
Katholisch sein ist anstrengend. Es ist nicht in erster Linie in Abgrenzung zu Protestanten, Muslimen oder Hindus sehen, sondern meint wörtlich: das Ganze umfassend. Polarisierende, ausgrenzende, andere herabsetzende Positionen sind mit dem Katholizismus nicht zu begründen und vom Zweiten Vatikanischen Konzil lehramtlich entkräftet worden. Nicht zuletzt entspringt ein Auftrag zur Politikgestaltung aus der Christlichen Soziallehre, in der es z. B. heißt: „Der Mensch ist der Weg der Kirche.“ Oder: „Es gibt keinen Frieden ohne Gerechtigkeit.“
Aus franziskanischer Perspektive umfasst der Auftrag zur Politikgestaltung den Einsatz für Gewaltlosigkeit und Frieden, zum interreligiösen Dialog, zu einer Haltung, die uns von anderen lernen lässt und den ehrfürchtigen Umgang mit der Schöpfung. Franziskus hat in der friedlichen Begegnung mit dem Sultan Malek-el-Kamil im Sommer 1219 vorgelebt, dass interreligiöser Dialog gelingen kann. Sein Verbot Waffen zu tragen und seine radikale Besitzlosigkeit stacheln uns an, unser eigenes Verständnis von Besitz zu überprüfen. Der Jesuit Pater Martin Maier arbeitet für die Europäische Bischofskonferenz in Brüssel. Er begründete seinen Einsatz mit dem Projekt Jesu, dem Reich Gottes. Jesus hat ein revolutionär neues Verständnis von Politik, Macht und Gemeinwohl geschaffen. Statt Macht auszuüben, lehrte er uns, uns in den Dienst Gottes und der Menschen zu stellen. Heute in Europa Stimme derer zu sein, die keine Stimme haben, bedeutet für 100 Millionen Menschen einzutreten, die an den Rand gedrängt sind. Mit seiner Enzyklika „Laudato si“ hat Papst Franziskus den Schrei der Armen und den Schrei der Erde hörbar gemacht. Auch Schwester Anna Schenck, die in Hannover beim Caritasverband arbeitet, begründete das Engagement der Ordensleute mit der Anwalt-schaft und prophetischen Dimension der Gelübde. In Zeiten, in denen unsere Gemeinschaften über Mitgliederrückgang klagen, ist es eine Gefahr, sich nur noch nach innen zu konzentrieren und mit dem Kleinerwerden zu beschäftigen. Dagegen müssen wir uns die Hände schmutzig machen und uns weiter einmischen. Die Veranstaltung war mit 60 Menschen überraschend gut besucht. Es waren auch viele Ordensfrauen gekommen.
Von der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK) war ich gebeten worden, die Ordensfrauen bei der Veranstaltung “Friedensfinderinnen” am 11. Mai zu vertreten. Dies ist eine interreligiöse Initiative mehrerer Frauenverbände. Das Treffen wurde von Frauen jüdischen, christlichen und islamischen Glaubens gestaltet. In einem emotionalen Impuls rief Prof. Dr. Gesine Schwan, Präsidentin der Humboldt-Viadrina Governance Plattform Berlin, die Frauen und Männer auf dem gut gefüllten Domplatz dazu auf, sich für Frieden und gegen das Böse einzusetzen. Eine Imamin las Friedenstexte aus dem Koran, eine Rabbinerin Texte aus der Thora und Schwester Martha Zechmeister CJ, Professorin in San Salvador, rezitierte eine Passage aus der Bergpredigt und erläuterte ihre persönliche Motivation für ihren Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit. Beeindruckt haben mich auch zwei jüdische Mädchen und eine junge evangelische Studentin aus Frankfurt und Berlin. Die jüdischen Jugendlichen gehen ganz bewusst in nicht-jüdische Schulen, um mit den anderen Jugendlichen über ihren Glauben zu reden, aber auch über ihren Musikgeschmack oder andere Themen. Auch die evangelische Studentin lebt in einer Wohngemeinschaft von Chemin Neuf, das ist eine neue geistliche Gemeinschaft in Berlin. Einmal im Monat trifft sie sich mit anderen jungen Leuten, um sich gemeinsam über ihren Glauben auszutauschen. Dadurch entsteht Beziehung und werden Vorurteile abgebaut. So entsteht Frieden, ganz konkret.
Die Tage in Münster verliefen sehr friedlich. Es war eine angenehme Atmosphäre in der Stadt. Tag und Nacht waren die Kirchen offen, wurde gesungen, getanzt, musiziert. Die Podien waren vielfältig. Vieles und viele hatten Platz. Auch bei den Gottesdiensten spürte man die Glaubensfreude und der Einsatz vieler Menschen, der aus dem Christsein wächst.
Sr. Katharina Ganz