Noviziatsschulung zum Thema Ehelosigkeit, Keuschheit, Jungfräulichkeit

Im Juni trafen sich ca. 20 Brüder und Schwestern zur 3-tägigen Noviziatsschulung des Würzburger Kreises im evangelischen Kloster Triefenstein. Referentin war Sr. Anneliese Herzig von den Missionsschwestern vom Heiligsten Erlöser, aktuell selbst Noviziatsleitung ihrer Gemeinschaft.

Schon seit einigen Jahren hält sie in unserem Kreis immer wieder die Schulungen zu den drei evangelischen Räten Armut, ehelose Keuschheit um des Himmelreiches willen und Gehorsam. Sie hat sich viel mit den Gelübden befasst und auch ein – aus meiner Sicht sehr lesenswertes – Buch zu den Gelübden geschrieben: „In der Spur Jesu: Leben nach den evangelischen Räten“.

Folgende Fragen waren der rote Faden durch diese Tage: Wo leben wir ehelos und warum, was hilft dabei (oder was auch nicht), wie leben wir dieses Gelübde mit dem Ziel der Fruchtbarkeit?

In einem ersten Schritt erarbeiteten wir gemeinsam, wie die „gesellschaftliche Bühne“ unserer Zeit aussieht, genannt wurde unter anderem: zunehmende Individualisierung, Schnelllebigkeit, höhere Flexibilität und Mobilität, Bindungsangst und Bindungsarmut, Familie im Umbruch, hoher Erwartungsdruck, Missbrauch, Migrationsgesellschaft und vieles mehr.

Nach einer kurzen Einführung zu den drei Begriffen Ehelosigkeit, Keuschheit und Jungfräulichkeit stellte uns Sr. Anneliese verschiedene theologische Deutungsmuster des Gelübdes der Ehelosigkeit vor. Diese Deutungen wurden von Klemens Schaupp erarbeitet und von ihr ergänzt, jede Deutung hat ihre Stärken, aber stellt auch vor Herausforderungen. Sehr prägnant formulierte Sr. Anneliese zu jeder Deutung eine Ich-Aussage wie folgt:

  1. Die moralisch-aszetische Deutung: „Ich lebe den Verzicht, um frei zu werden.“
  2. Die „Zwei-Stände-Lehre“: „Ich weiß mich berufen MEHR zu leben (als Andere).“
  3. Die funktionale Deutung: „Ich will frei und verfügbar sein für den Dienst. Ich lasse mich ein, weil die Kirche es so vorsieht.“
  4. Die anthropologische Deutung: „Die Grenzen einer Partnerschaft sind mir zu eng. Meine Liebe soll viel mehr Menschen dienen.“
  5. Die personal-christusbezogene Deutung: „Ich bin von Christus fasziniert und will ganz für ihn leben und ich will leben wie Er.“
  6. Die eschatologische Deutung: „Durch meine Ehelosigkeit zeige ich, dass es wirkliche menschliche Erfüllung erst bei Gott im Himmel gibt.“
  7. Solidarität, politische Dimension: „Ich bin solidarisch mit denen, die unfreiwillig alleine und ehelos sind.“
  8. Ekklesiologische Deutung: „Durch meine Ehelosigkeit zeige ich, wie tief Christus mit seiner Braut, der Kirche verbunden ist.“

Nach einer persönlichen Positionierung und anschließender Diskussionsrunde über die verschiedenen Deutungen lud uns Sr. Anneliese ein, uns anhand einer Bibelstelle (Mt 19,12) und mit einigen Impulsen von ihr, Gedanken zum Gelübde der Ehelosigkeit zu machen.

„Wer nicht alleine stehen kann, hüte sich vor Gemeinschaft“, so ein Zitat von Bonhoeffer. Ich als Mensch kann alleine stehen (für Frauen war das früher nicht selbstverständlich!) und muss auch alleine stehen können, das ist auch eine Voraussetzung, um in Beziehung zu sein. Beziehungsfähigkeit ist dringend notwendig in Gemeinschaft! Wenn jemand in einen Orden eintritt und keine „Lust“ auf Beziehungen hat, wird es schwierig. Sr. Anneliese bezeichnete es als ein Geschenk und eine Chance der Ehelosigkeit, dass wir alleine stehen können und dürfen und genau so in Gemeinschaft leben.

Es geht beim Gelübde der Ehelosigkeit (und natürlich auch in anderen Lebensformen) um LIEBE und LEBEN in Beziehung... zu Gott, zu Menschen, zu mir selbst.

Einige ihrer Gedanken dazu:

→ Liebe zu Gott: Zeit für Gott, Gebet, Stille, Da-Sein vor Gott, diese Zeiten pflegen – Beziehungspflege („Der Zölibatäre kann durch Rastlosigkeit schuldig werden.“)

Liebe zu Menschen: Freundschaften, in Beziehung sein; Gemeinschaft erfahren – Austausch, Sendung – mich berühren lassen von der Freude und Not Anderer – liebesfähig sein, bleiben und werden

Liebe zu mir selbst: Sexualität (mir meiner Bedürfnisse bewusst sein); Körperlichkeit (guter Umgang mit meinem Körper, Selbstsorge, Sport…); Leere/Einsamkeit (Leere und alleine sein gehören zum Leben, nicht alles vollstopfen); „Gemüt“ (empfindsam sein, in guter Resonanz mit Anderen)

P. Ludger Schulte sagte dazu: „Der Weg in die Selbstständigkeit ist ein Weg auf die Gemeinschaft zu.“.

Dem Wort Keuschheit nährten wir uns mit einem Artikel von Sr. Anneliese mit dem Titel „Keuschheit: Grenzen achten, Geheimnis hüten, Transparenz“. Keuschheit heißt unter anderem für sie, Respekt zu haben vor dem Eigenraum der anderen Person – das Geheimnis des „Du“ zu wahren, den „heiligen Boden“ (vgl. Ex 3,5 Mose). Es geht um einen sensiblen, achtsamen und zärtlichen Umgang mit allem Lebendigen, mit der ganzen Schöpfung, um eine Klarheit und Transparenz in meinem Sein.

Weiteres Thema in diesen Tagen war der Umgang mit Intimität und die verschiedenen Erfahrungsmöglichkeiten der Intimität. Neben der körperlichen Intimität (sich umarmen, sich berühren) gibt es viele Andere wie die seelische und emotionale (Austausch über Sorgen, Wünsche, Hoffnungen…), die intellektuelle (Austausch über Ideen, Wissen..) oder auch spirituelle Intimität (Gebet, Gottesdienst, Austausch…).

Wartend, wachsend, neugierig, offen und bereit für Neues, nicht „abgesättigt sein“, Hoffnung und Zukunft ausstrahlen mit dem Ziel der Fruchtbarkeit – das waren einige der Gedanken zum Bild der Jungfräulichkeit.

Es waren reich gefüllte, zum Nachdenken und Nachspüren anregende Tage und vielleicht sind die Ausschnitte aus den Gedanken von Sr. Anneliese ja eine Einladung, sich auch nach vielen gelebten ehelosen Jahren, wieder einmal darüber auszutauschen.

Ich möchte mit einem Zitat von Joan Chittister, welches Sr. Anneliese in ihrem Artikel zitiert, abschließen:

„Keuschheit ist Liebe, die mit offenen Händen gegeben wird… Wahre Keuschheit erwartet von anderen keine Gegenleistung. Sie ist schlicht volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß an Liebe, leidenschaftlich, aber nicht Besitz ergreifend…. Keuschheit soll keine Gefühle unterdrücken. Sie soll ganz im Gegenteil diese so steuern, dass sie großherzig, echt, befreiend und Leben spendend sind.

Sr. Juliana Seelmann