Eine Bewohnerin der Wohngemeinschaft Berscheba hinterfragt ihre ganz persönliche MUT-Geschichte – Klettern als Training für mehr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.
Beschäftigt man sich mit der Frage, wo im Leben Mut benötigt wird, stellt man sehr schnell fest, dass Mut häufiger im Leben gefragt ist, als man denkt. Es ist sehr individuell, von Person zu Person unterschiedlich, wo und in welchem Ausmaß Mut erforderlich ist. Es sind die Erfahrungen, die ein Mensch in seinem Leben gesammelt hat, die ihn Unsicherheit, Gefahr oder Verängstigung in einer Situation empfinden lassen und entsprechend Mut zur Bewältigung erforderlich machen.
Beispielsweise ist es für den einen eine Leichtigkeit, die harmlose Spinne aus dem Zimmer in die Freiheit zu befördern, wohingegen der andere beim Anblick schreiend nach draußen rennt und den Raum nicht wieder betritt, bevor diese entfernt ist. Flucht oder Bewältigung – das ist die Frage und sie ist immer nur situativ zu beantworten. Wer sich öfter für Letzteres entscheidet, kann freier werden und mehr Lebensqualität gewinnen. Im Leben geht es manchmal darum, einen Pfad begehbar zu machen, um die Entscheidung oder die Richtung zu ändern, neue Wege zu gehen und Brücken zu sich selbst zu bauen. Der Antrieb kann dabei die zart keimende Hoffnung sein, nicht nur existieren zu wollen, sondern zu lernen, sich auf die Reise zu begeben. Oder treibt einen der Wunsch an, das Leben zu leben – vielleicht sogar glücklich, trotz der Wunden und Macken, die einem das Leben bereitet hat. Es ist wichtig, diese Hoffnung wahrzunehmen und nicht immer wieder im Keim zu ersticken. Hierfür muss wohl jeder Mensch mutig sein. Es ist eben nur eine Hoffnung und keine sichere Gewissheit.
Wege beschreiten
Ich startete meinen Versuch, dieser Hoffnung nachzugehen und mutig zu werden gemeinsam mit der Wohngemeinschaft Berscheba, mit vielen Herausforderungen, die es zu meistern galt und gilt. Die Bewegung begann in Mini-Schritten – hin und her, vor und zurück, hoch und runter. Doch: Geteiltes Leid ist halbes Leid. Jede Bewohnerin hier muss ihren Weg selbst beschreiten. Niemand kann ihn dir nehmen aber man kann sich Begleitung suchen, wie zum Beispiel MUT.
MUT nimmt dich bei der Hand, wenn du es zulässt. Es ist egal, ob man sich verläuft auf der Suche, die Orientierung, den Sinn verliert oder doch wieder Schritte zurück geht. Es ist auch nicht schlimm, den Fuß erst nach rechts zu setzen und später, wenn man feststellt, dass der Weg doch links weiterführt, zu wenden. MUT begleitet dich, hilft dir, damit dein Mut nicht verloren geht und erinnert dich an deine Ziele, wenn du im Nebel die Sicht verlierst. In Berscheba findet man einen Raum, in dem das Risiko, seine Mauern und Fassaden bröckeln zu lassen und sich zu zeigen, geringer ist als in der großen weiten Welt. Es geht darum, mich vorsichtig in einem Bereich zu bewegen, wo Unsicherheit ziemlich hoch ist und es gefühlt viel zu verlieren gibt. Es ist eine Bewegung hinein in die Gefahrenzone.
MUT für Motivation
Es kostet Überwindung und viel Vertrauen, um sich zu trauen und den Mut dafür aufzubringen. An diesem Punkt motiviert MUT und vermittelt das Gefühl der Akzeptanz. Und auch meine sogenannten Special Effects, meine ganz persönlichen Eigenheiten, haben Platz in der Gruppe und dürfen da sein. Es spricht viel für den Satz: „Wenn nicht hier, wo dann? Wo willst du dann den Mut aufbringen?“ Entstehende Ideen, aufkeimende, noch versteckte Stärken können hier langsam an die Oberfläche kommen. Ich kann mich vorsichtig zeigen.
Gemeinsamkeiten oder auch Aktivitäten die Freude bereiten, werden nicht sofort wieder fallen gelassen und niedergetreten. MUT motiviert mich, genauer hinzuschauen und darauf aufzubauen. Bei Terminen oder Anlässen, deren Bewältigung nicht leicht erscheint, sondern sich schwierige Hürden auftun, ist MUT da und begleitet dich, um ein wenig Last zu nehmen, wodurch der Mut in mir einfacher aufzubringen ist. MUT geht Problematiken an, gibt mir Rückmeldung, bietet Hilfe an und schaut auch auf unangenehme Wahrheiten. So kann ich besser an meinen kritischen Punkten arbeiten. MUT schafft die Möglichkeit, meinen eigenen Mut zu entdecken und aufzubringen, um mich selbst genauer unter die Lupe zu nehmen, um aktiv Veränderungen und Übungsaufgaben anzugehen.
Klettern für Vertrauen
Ein wichtiges Übungsfeld außerhalb des Alltages ist die regemäßige Gruppenaktion in der Kletterhalle. Beim Klettern geht es darum, weiter zu gehen, selbst wenn ich glaube, es geht nicht mehr. Ich muss Mut aufbringen, um höher zu klettern als beim letzten Versuch. Ich merke immer wieder, es geht weiter, wenn ich mich und meine Angst überwinde. Einmal mehr doch noch meine Hand weiter nach oben strecken, um mich dort festzuhalten. Gleichzeitig muss ich darauf vertrauen, von meiner Kletterpartnerin unten am Boden gehalten zu werden. Ich lerne, darauf zu vertrauen, dass ich nicht in die Tiefe stürze, wenn ich abrutsche. Wir klettern in der Gruppe und so motiviert man sich ganz nebenbei und selbstverständlich gegenseitig, nicht aufzugeben. Auch kleinste Erfolge werden gewürdigt und finden Beachtung. Vielleicht ist es ja möglich, daraus zu lernen und das Vertrauen in mich und andere auch mitzunehmen.
Jetzt bleibt noch die letzte Frage, wer ist MUT?
Für mich sind es die drei Sozialpädagoginnen aus der Wohngemeinschaft Berscheba, die mit mir meinen Mut-Raum schaffen und mich meinen eigenen Mut finden lassen: Melanie, Ute und Tanja.
Bewohnerin der Wohngemeinschaft Berscheba