Offener Brief an den Bundesinnenminister Horst Seehofer und die Innenminister der Länder:
Würzburg, im Juli 2019
Betreff: Kirchenasyl – Verschärfung der Regelung seit August 2018
Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister Seehofer,
Sehr geehrte Herren Innenminister der Länder,
ein Jahr nach dem Beschluss der ständigen Konferenz der Innenminister zum Kirchenasyl vom Juni 2018 sehen wir uns gezwungen, uns an Sie wie auch an die Öffentlichkeit zu wenden. In der Begleitung von Schutzsuchenden in Würzburg erleben wir verstärkt, wie die physische und psychische Gesundheit von Geflüchteten, die Achtung ihrer Menschenwürde und damit auch die Wahrung der Menschenrechte gefährdet sind.
Als haupt- und ehrenamtlich Engagierte in der Begleitung und Unterstützung von Geflüchteten in verschiedenen Initiativen und Organisationen, wie z.B. dem Würzburger Flüchtlingsrat, dem Ökumenischen Asylkreis und der AG Kirchenasyl, mussten wir erfahren, wie die Verschärfung der Regelung zum Kirchenasyl zur existentiellen Gefährdung von schutzbedürftigen Menschen geführt hat.
Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen:
Frau E. aus Westafrika wurde von Menschenhändlern nach Italien verbracht, wo sie zur Prostitution gezwungen wurde. Alle ihre Versuche Hilfe in Italien zu erlangen scheiterten. Der Erhalt des Rückführungsbescheids nach Italien auf ihren in Deutschland gestellten Asylantrag ließen die Traumata des Erlebten wieder aufleben. Erst im Kirchenasyl erfuhr sie Schutz vor erneuter Verletzung ihrer Integrität und seelische Stabilisierung.
Frau T. gelangte aus den Kriegswirren im Mittleren Osten über Rumänien nach Deutschland. Nach Misshandlungen im europäischen Grenzland und drohender Rückführung dorthin erfuhr die alleinstehende junge Frau, deren Verwandte in Deutschland Asyl erhalten haben, Aufnahme im Kirchenasyl. Die Verlängerung der Überstellungsfrist auf 18 Monate trug zur Entwicklung einer Depression bei. Dies stellte auch für das Netz der Unterstützer*innen eine extreme Belastung dar.
Diese beiden Fälle stehen exemplarisch für viele ähnlich gelagerte. Was allen Kirchenasylen zugrunde liegt, ist die existentielle Notsituation von Menschen, die besonderen Schutz brauchen. Diesem Schutzbedürfnis Geltung zu verschaffen, ist Ausdruck unseres Glaubens an Gott, der die Menschen liebt und damit auch zum Handeln in Solidarität aufruft. Was wir jedoch im Umgang des Staates mit dem Kirchenasyl erleben müssen, ist im Gegenteil die Entmenschlichung und Entsolidarisierung staatlichen Handelns.
Wir stellen dem gegenüber fest:
- Die auf der Innenministerkonferenz festgelegten Änderungen, wie mit Kirchenasylen zu verfahren ist, entbehren der rechtlichen Grundlage. Dies gilt im Besonderen für die Verlängerung der Überstellungsfrist von sechs auf 18 Monate.
- Kirchenasyl ist kein Untertauchen. Nach Ablehnung des Dossiers durch das BAMF werden von einem Tag auf den anderen Menschen als flüchtig angesehen, obwohl der Aufenthaltsort der Behörde bereits bei Eintritt in das Kirchenasyl unverzüglich gemeldet und nicht verändert wurde. Dadurch werden Kirchenasylgäste und Schutzgewährende kriminalisiert.
- Die Prüfung von Härtefalldossiers (Einzelfallprüfung) erfolgt im BAMF durch die gleiche Stelle, die bereits im Vorfeld eine Abschiebung in das jeweilige EU-Drittland angeordnet hat. Das Dossier wird dabei nach den gleichen rein formalen und juristischen Kriterien beurteilt, mit dem vorhersehbaren Ergebnis, dass 98 % der eingereichten Dossiers seit August 2018 abgelehnt wurden. Eineinhaltliche Prüfung des einzelnen Härtefalls anhand menschenrechtsorientierter Kriterien findet i.d.R. nicht mehr statt und humanitäre Notsituationen werden faktisch nicht berücksichtigt.
- Die von der Innenministerkonferenz getroffenen Beschlüsse erschweren Kirchenasyl in einer erheblichen Weise, so dass die Zahl der Kirchenasyle zurückgeht und weniger Menschen in besonderen humanitären Härtefallsituationen Schutz finden können.
Wir fordern daher:
Die sofortige Rückkehr zu dem in der Praxis bis Juli 2018 erfolgreich erprobten Vorgehen zwischen Kirchen und dem BAMF auf Basis der Vereinbarung vom Februar 2015.
Dies beinhaltet im Besonderen:
- Die Überstellungsfrist im Dublinverfahren für im Kirchenasyl befindliche Geflüchtete bei sechs Monaten zu belassen und nicht auf 18 Monate zu verlängern.
- Bei der Beurteilung der Dossiers vor allem humanitäre und menschenrechtsbezogene Kriterien zu berücksichtigen und die Frage nach der individuellen Schutzbedürftigkeit in den Vordergrund der Beurteilung zu stellen.
- Die erneute Prüfung der Dossiers durch eine unbefangene Instanz, ähnlich einer Härtefallkommission.
- Die Entkriminalisierung des Kirchenasyls und derer, die es verantworten.
Oberste Priorität im Umgang mit Geflüchteten muss der Art. 1 unseres Grundgesetzes haben: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Zur Wahrung dieses Rechtsgrundsatzes tragen wir ehren- und hauptamtliche Asylhelfer durch unser Engagement entscheidend bei.
Wir bitten Sie um eine schriftliche Stellungnahme zu diesem Brief, gerne auch mit ausführlicher Darlegung Ihrer Position.
Mit freundlichen Grüßen
Erstunterzeichner:
Augustinerkloster Würzburg
Communität Casteller Ring e.V.
Franzikaner-Minoriten, Br. Bernhardin Seither (Provinzialminister)
Kongregation der Dienerinnen der hl. Kindheit Jesu OSF, Generaloberin Sr. Dr. Katharina Ganz
Missionsärztliches Institut Würzburg, Prof. Dr. med. August Stich (Vorsitzender)
Ökumenische AG Kirchenasyl Würzburg
Ökumenischer Asylkreis (ÖAK) Würzburg
Ritaschwestern, Generaloberin Sr. Rita-Maria Käß OSA
Schwestern des Erlösers, Generaloberin Sr. Monika Edinger
Würzburger Flüchtlingsrat
Pfr. Ralph Baudisch, Hochschulpfarrer
Pfr. Max von Egidy, stellvertretender Dekan
Br. Abraham Sauer OSB, Abtei Münsterschwarzach
Prof. Dr. Mirjam Schambeck sf, Leiterin der Franziskanerinnen sf
Elisabeth Wöhrle sf, Referentin KHG, Begleitung Arbeitskreis Asyl
Empfehlung des Main-Post Artikels: Kirchenasyl: Aushalten im goldenen Käfig (Weiterleitung zur Internetseite der Main-Post)