Die Selbsthilfegruppe Würzburg der Frauenselbsthilfe nach Krebs veranstaltet regelmäßig Patiententage. 2019 fand einer in der Sankt Michaelskirche im Kloster Oberzell statt.
Die Diagnose Krebs ist für die meisten Menschen ein Schock. Es trifft sie unvorbereitet und löst oft eine existenzielle Krise aus. Betroffene werden jäh aus ihrem Alltag gerissen und sehen sich mit Angst, Leid, Schmerzen und der Bedrohung des eigenen Lebens konfrontiert. Ihnen erscheint der Weg, der vor ihnen liegt unwegsam und steinig und sie wissen oft nicht, wie es weitergeht.
In der Frauenselbsthilfe nach Krebs finden an Krebs erkrankte Menschen und deren Angehörige Hilfe und Unterstützung. Beate Beyrich und Brigitte Keller gründeten die Würzburger Gruppe vor zehn Jahren und leiten diese bis heute ehrenamtlich.
In regelmäßigen Abständen finden Patiententage in der Uniklinik Würzburg statt. Unter dem Motto: „Alles was der Seele guttut“, steht die Lebensqualität bei einer schweren Erkrankung im Mittelpunkt. Die beiden Organisatorinnen wissen aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, auch die psychosozialen Belastungen und Möglichkeiten der Unterstützung in den Blick zu nehmen. Für das diesjährige Thema „Spiritualität und Achtsamkeit in Krisensituationen“ sollte ein besonderer Ort gewählt werden. Schwester Katharina Ganz zeigte sich von Anfang an offen, die Veranstaltung in der Klosterkirche in Oberzell stattfinden zu lassen.
Gleich beim Betreten fielen die ausgestellten Fotos in den Seitengängen auf. Zu sehen waren Menschen mit einer Krebserkrankung. Den meisten von ihnen fehlten die Haare, häufiges Erkennungszeichen von Krebspatient*innen. Genau diese Menschen sollten an diesem Tag zu Wort kommen und über ihre Erkrankung, ihre Verletzungen, Ängste und Hoffnungen berichten.
Den Anfang machte Alexandra. Im Alter von 42 Jahren erhielt sie die Diagnose Brustkrebs. Als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern mit 12 und 15 Jahren, eben erst eine neue Arbeitsstelle begonnen, sah sie sich dem Tode nahe. Ihre ganze Sorge galt ihren Kindern: Sie hatte Angst, die beiden alleine zurückzulassen. Sie berichtete von den umfangreichen Untersuchungen, Chemotherapien und Bestrahlungen. Die ständige Übelkeit und das Erbrechen, der Verlust ihrer Haare und ein Gefühl des Ausgeliefertseins begleitete sie durch diese schwere Zeit. Es war ihr nicht möglich, sich umfangreich um die Kinder und den Haushalt zu kümmern. Arbeiten konnte sie zu der Zeit nicht, was mit finanziellen Einbußen einherging. Dennoch spürte sie ein tiefes Gottvertrauen und fand in ihren Gebeten Ruhe und inneren Frieden. Voller Dankbarkeit erzählte sie von ihrer Mama, die sie und ihre Kinder liebevoll versorgte. Alexandra hat gelernt, sich Gutes zu tun: ein wärmendes Bad, schöne Musik oder die Treffen der Selbsthilfegruppe. Vor allem kann sie jetzt den Schmerz und die Verzweiflung zulassen und die Tränen fließen lassen.
Mit Gabi kam eine Angehörige zu Wort. Auf dem Foto ist sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Gideon zu sehen. Augenscheinlich würde bei ihm keiner eine Krebserkrankung vermuten. Gabi berichtete über die Ohnmacht, die sie empfand, angesichts der Diagnose ihres Mannes. Das Leben fühlte sich an, wie unter einer ständigen Bedrohung. In den sechs Jahren der Erkrankung igelte sie sich ein und entwickelte eine regelrechte Phobie gegen die Spaßgesellschaft. Mit ihrem Mann konnte sie über ihre Sorgen und Ängste nicht sprechen. Er verdrängte und versuchte mühsam, an seinem alten Leben festzuhalten. Jahrelang nahm Gabi Schmerz- und Beruhigungsmittel, hatte mehrere Nervenzusammenbrüche. Erst als sie eine Angehörigengruppe der Psychosozialen Krebsberatungsstelle besuchte, gelang es ihr, sich aus der Isolation zu befreien. Die Selbsthilfegruppe empfindet sie heute noch als einen Segen.
Margarete, 64 Jahre, beschrieb die Brustkrebsdiagnose, die sie vor vier Jahren erhielt, als größte Schrecksekunde ihres Lebens. Plötzlich begriff sie den Sinn der Worte: „Das Leben ändert sich von jetzt auf nachher.“ Sie berichtete von der Krebstherapie und dem Haarverlust als einem enormen Kraftakt, verbunden mit einer großen Verletzlichkeit. Von vermeintlichen Freunden verabschiedete sie sich in dieser Zeit und entwickelte einen gesunden Egoismus. Rückblickend empfindet sie große Dankbarkeit, ein zweites Leben geschenkt bekommen zu haben. Sie schloss mit den Worten aus dem Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt – und der uns hilft zu leben.“
Corinna erhielt vor zwei Jahren im Alter von 42 Jahren die Diagnose Brustkrebs. Als Mutter eines 16-jährigen Zwillingspaars galt ihre größte Sorge den Kindern. Wie sollte sie mit ihnen über ihre Krebsdiagnose sprechen? Wie würden die Kinder das verkraften? Zudem hatte Corinna große Angst, dass die Therapie nicht anschlagen würde. Sie litt unter dem Verlust ihrer Haare und fühlte sich von ihrem sozialen Umfeld isoliert. Die bedingungslose Unterstützung ihrer Familie, Freunde und eine hervorragende medizinische und psychoonkologische Betreuung gaben ihr Zuversicht und Hoffnung. Regelmäßige Bewegung und die Achtsamkeit durch Yoga halfen der von Haus aus sportlichen Frau, wieder zu Kräften zu kommen. Mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht erzählte sie von dem großen Glück, das sie rückblickend empfindet.
Auf eindrucksvolle Weise boten Lisa Kuttner und Johannes Beck-Neckermann mit Tanz und Musik eine künstlerische Perfomance beim Patiententag. Darniederliegend vor dem Altar drückte Lisa Kuttner die Not und Verzweiflung eines Menschen mit einer Krebsdiagnose aus. Unter der wehklagenden Musik von Johannes Beck- Neckermann, kam sie nur mühsam auf die Beine, um am Ende Zuversicht in Bewegung und Musik erahnen zu lassen. Die Onkologin und Komplementärmedizinerin Dr. Claudia Löffler gab im Anschluss Impulse für einen achtsamen Lebensstil. Sie zitierte Jon Kabat-Zinn, der die Achtsamkeit als einfache und zugleich hochwirksame Methode beschreibt, mit sich selbst in Berührung zu kommen. Dazu zeigte sie auf anschauliche Weise Möglichkeiten auf, diese in den Alltag einzubinden.
Generaloberin Schwester Katharina Ganz veranschaulichte anhand der heiligen Klara, die zeitlebens kränkelte, ein Beispiel aus der franziskanischen Tradition: „Herr in deinem Arm bin ich sicher. Wenn du mich hältst, habe ich nichts zu fürchten. Ich weiß nichts von der Zukunft, aber ich vertraue auf dich.“ Anhand dieses Zitates der heiligen Klara machte Schwester Katharina deutlich, wie unterstützend und stärkend die Kraft des Glaubens sein kann. Vergleichbar mit Antonia Werr, die schützend ihre Hand über die ihr anvertrauten Mädchen hält, gab Schwester Katharina den Anwesenden zum Abschluss Segenswünsche mit auf dem Weg.
Es bildete das Ende eines eindrucksvollen und emotionalen Nachmittags. Mit großer Offenheit berichteten die Betroffenen von ihrer Krebserkrankung. Jede von ihnen fand wieder einen Weg zurück ins Leben. Trotz unterschiedlicher Einschränkungen als Folge der Krebserkrankung überwiegt bei allen die Dankbarkeit, am Leben sein zu dürfen.
Niemand muss alleine den schweren Weg mit einer Krebserkrankung gehen. Es gibt vielfältige Unterstützungsangebote. Eine Möglichkeit bietet die Selbsthilfegruppe der Frauenselbsthilfe nach Krebs in Würzburg. Die Treffen finden jeden ersten Montag im Monat um 18 Uhr im Haus Antonia Werr, Haugerring 9, in Würzburg statt.
Brigitte Keller