Studie zu sexualisierter Gewalt – Betroffene und Zeitzeug:innen gesucht

„Noch habe ich Mut genug, um so zu handeln, wie ich handeln muss“, sagte einst Antonia Werr, die Gründerin der Gemeinschaft. Sie setzte sich im 19. Jahrhundert für die Rechte von Mädchen und Frauen ein. Mit diesem Mut gehen die Oberzeller Franziskanerinnen ihren Weg der Aufarbeitung. Foto: Ludwig Lechler

 

Die Oberzeller Franziskanerinnen haben das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim damit betraut, wissenschaftlich zu untersuchen, in welchem Ausmaß sexualisierte Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Erwachsene in ihrem Verantwortungsbereich vorkam und wie man damit umgegangen ist. Die Kongregation möchte mit dieser unabhängigen Studie eine Grundlage für die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit erhalten, Verantwortung übernehmen und Betroffenen Gehör verschaffen. Die Ergebnisse der Studie sollen außerdem dazu beitragen, Schutzkonzepte und Präventionsmaßnahmen zu verbessern.

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Im März 2025 wurden der Start der Studie mit dem damit verbundenen Aufruf mit einer Pressemitteilung veröffentlicht. Diese können Sie im Wortlaut hier nachlesen:

Die Oberzeller Franziskanerinnen haben das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim damit betraut, wissenschaftlich zu untersuchen, in welchem Ausmaß sexualisierte Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Erwachsene in ihrem Verantwortungsbereich vorkam und wie man damit umgegangen ist. Die Kongregation möchte mit dieser unabhängigen Studie eine Grundlage für die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit erhalten, Verantwortung übernehmen und Betroffenen Gehör verschaffen. Die Ergebnisse der Studie sollen außerdem dazu beitragen, Schutzkonzepte und Präventionsmaßnahmen zu verbessern.

Ein wichtiges Anliegen der MKF-Studie (Missbrauch durch Katholische Frauenkongregation) ist es, die Erfahrungen von Betroffenen sowie von Zeitzeuginnen und -zeugen zu erheben. Die Forschenden laden daher alle Menschen, die als Kind, Jugendliche oder Erwachsene im Kontakt mit Mitgliedern der Kongregation der Dienerinnen der heiligen Kindheit Jesu standen, ein, sich an der Studie zu beteiligen. Oberzeller Schwestern waren unter anderem in vielen Heimen der Kinder- und Jugendhilfe tätig, neben Einrichtungen in Zell und Würzburg zum Beispiel auch in Hof, in Kirchschönbach oder in München. Wer selbst betroffen ist, von Übergriffen gehört hat oder über den Umgang der Kongregation mit solchen Vorkommnissen berichten kann, soll die Möglichkeit erhalten, die Erfahrungen in einem geschützten Rahmen mitzuteilen. Die Betroffenen sind die wichtigsten Stimmen in dieser Untersuchung. Als Expertinnen und Experten für ihre eigenen Erfahrungen können sie beitragen, ein umfassendes Bild zu zeichnen. Ihre Perspektiven sind unverzichtbar, um Geschehenes aufzuarbeiten, Strukturen zu verstehen, Verantwortung zu übernehmen und Veränderungen zu ermöglichen.

Streng vertraulich

Den Forschenden und den Schwestern ist bewusst, wie schwer es sein kann, über solche Erlebnisse zu sprechen. Deshalb betonen sie: Jede/Jeder entscheidet selbst, was und wie viel sie/er berichten möchte. Die Angaben werden vom Studienteam des ZI streng vertraulich behandelt und vollständig anonymisiert. Die Studie unterliegt den Regeln des wissenschaftlichen Datenschutzes und der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Wer sich unsicher ist oder Fragen hat, kann sich zunächst auch ganz unverbindlich an das Forschungsteam wenden. Jeder weitere Schritt geschieht im Tempo der/des Betroffenen und nur mit ihrem/seinem Einverständnis.

Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Verantwortungsbereich der katholischen Kirche ist in den vergangenen Jahren in mehreren Studien wissenschaftlich untersucht worden. In Deutschland wegweisend war die vom ZI und den Universitäten Heidelberg und Gießen 2018 veröffentlichte MHG-Studie. Hier wurde sexualisierte Gewalt an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz untersucht. Eine tiefergehende Untersuchung der Orden erfolgte in der MHG-Studie aber nicht und Frauen als mögliche Täterinnen standen in bisherigen Untersuchungen zur katholischen Kirche noch gar nicht im Blickpunkt.

Studie wird wissenschaftlich völlig unabhängig erarbeitet

Die Kongregation der Dienerinnen der heiligen Kindheit Jesu OSF, so der offizielle Name der Oberzeller Franziskanerinnen, ist ein katholischer Frauenorden mit Hauptsitz in Zell am Main nahe Würzburg. Die Gemeinschaft hatte ein Forschungsprojekt zu der Frage ausgeschrieben, in welchem Ausmaß sexualisierte Gewalt in ihrem Verantwortungsbereich seit 1945 vorgekommen ist, ob es ordensspezifische Risikofaktoren gegeben hat und möglicherweise noch gibt, die solche Taten begünstigen, und wie mit Verdachtsfällen bisher umgegangen wurde. Ein Forschungsteam des ZI hat in einem kompetitiven Bewerbungsverfahren den Zuschlag für die Studie erhalten. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verfügen über eine breite Forschungserfahrung auf diesem Feld, da sie sowohl an der MHG-Studie als auch an der ForuM-Studie der evangelischen Kirche federführend mitgewirkt haben. Die Forschenden des ZI werden die Studie wissenschaftlich völlig unabhängig erarbeiten und die Ergebnisse publizieren. Dazu werden sie Personalakten analysieren und Gespräche mit Betroffenen, Verantwortlichen und Zeitzeuginnen und -zeugen führen.

„In welchem Ausmaß es auch Frauen als Täterinnen gibt, ist ein weitgehend blinder Fleck in der Forschung zu sexualisierter Gewalt,“ sagt Prof. Dr. Harald Dreßing, Leiter der Forensischen Psychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, der die Studie koordiniert. Den Wissensstand zu dieser wichtigen Fragestellung in Bezug auf Häufigkeiten, den situativen Kontext und die Folgen für Betroffene zu erweitern, sei eine wichtige Fragestellung. Ergebnisse der Studie sollen auch dazu beitragen, Schutzkonzepte und Präventionsmaßnahmen zu optimieren und Kinder in Zukunft besser vor sexualisierter Gewalt und deren oft gravierenden gesundheitlichen Folgen zu schützen. Dreßing hebt in diesem Zusammenhang auch den Mut und die Aufgeschlossenheit der Oberzeller Schwestern hervor, sich mit dieser Fragestellung auseinanderzusetzen.

Generaloberin Sr. Dr. Katharina Ganz ist es wichtig, Licht in dieses potenzielle Dunkel der Vergangenheit zu bringen. Antonia Werr, die Gründerin der Gemeinschaft, setzte sich schon im 19. Jahrhundert für die Rechte von Mädchen und Frauen ein, die Opfer sexualisierter Gewalt wurden. Diesem Auftrag fühlen sich die Schwestern und die Mitarbeitenden der Kongregation bis heute verpflichtet. Bislang haben die Oberzeller Franziskanerinnen nur von wenigen Fällen aus der Vergangenheit Kenntnis, so die Generaloberin. „Wir wollen Verantwortung übernehmen, das Leid der Betroffenen anerkennen und ihnen Gehör verschaffen.“

Sexualisierte und andere Formen der Gewalt

Unter sexualisierter Gewalt werden Handlungen mit sexuellem Bezug ohne Einwilligung beziehungsweise ohne Einwilligungsfähigkeit der Betroffenen verstanden. Damit umfasst sexualisierte Gewalt jegliche unerwünschte sexuelle Handlung und Grenzüberschreitung, bei der eine Person in ihrer sexuellen Selbstbestimmung und Unversehrtheit beeinträchtigt wird. Auch wenn körperliche und psychische Gewalt insbesondere im Heimerziehungskontext vermutlich häufiger missbräuchlich eingesetzt worden sein dürften, werden diese Missbrauchsformen im Rahmen der Studie nicht untersucht. Die Erfahrungen von Menschen, die körperliche oder auch psychische Gewalt durch Oberzeller Franziskanerinnen erlebt haben, können aber in begrenztem Maß in die Studie einfließen, wenn sie sich im Kontext sexualisierter Gewalt ereignet haben. Betroffene können sich zudem an die externen Missbrauchsbeauftragten der Kongregation wenden (Kontaktdaten unter www.oberzell.de/aufarbeitung).

Kontakt für Betroffene sowie Zeitzeuginnen und -zeugen

Menschen, die bereit sind, ihre Erfahrungen zu teilen, können sich an das Forscherteam am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim wenden.

Ansprechpartner:innen sind:

 

Über das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit

Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) steht für international herausragende Forschung und wegweisende Behandlungskonzepte in Psychiatrie und Psychotherapie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Suchtmedizin. Die Kliniken des ZI gewährleisten die psychiatrische Versorgung der Mannheimer Bevölkerung. Psychisch kranke Menschen aller Altersstufen können am ZI auf fortschrittlichste, auf internationalem Wissensstand basierende Behandlungen vertrauen. Über psychische Erkrankungen aufzuklären, Verständnis für Betroffene zu schaffen und die Prävention zu stärken ist ein weiterer wichtiger Teil unserer Arbeit. In der psychiatrischen Forschung zählt das ZI zu den führenden Einrichtungen Europas und ist ein Standort des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit (dzpg.org). Das ZI ist institutionell mit der Universität Heidelberg und der Medizinischen Fakultät Mannheim verbunden und Mitglied der Health + Life Science Alliance Heidelberg Mannheim (health-life-sciences.de).

Über die Oberzeller Franziskanerinnen

Die Dienerinnen der hl. Kindheit Jesu OSF sind eine Kongregation päpstlichen Rechts innerhalb der katholischen Kirche. 1855 von der Würzburgerin Antonia Werr gegründet, setzen sich die Oberzeller Schwestern und Mitarbeitende in verschiedenen Einrichtungen bis heute für Menschen in Not ein, insbesondere für Mädchen und Frauen. Seit ihrer Gründung waren hunderte Schwestern in 16 Kinder- und Mädchenheimen sowie Einrichtungen der Jugendhilfe tätig, überwiegend in den bayerischen Bistümern in eigener Trägerschaft oder auch in Anstellung bei anderen Trägern. Darüber hinaus waren sie hauptsächlich in der stationären und ambulanten Krankenpflege sowie in Kindergärten, schulischer Ausbildung, Seelsorge und Wirtschaftsführung tätig. Aktuell gehören zu den Oberzeller Franziskanerinnen 98 Schwestern, davon knapp 70 in Deutschland. Es gibt Niederlassungen und Einrichtungen in Südafrika und in den USA. Zur Dienstgemeinschaft zählen darüber hinaus rund 150 Mitarbeitende.