Ende einer Ära

Nach 92 Jahren Einsatz in Niedernberg haben die letzten beiden Oberzeller Franziskanerinnen die Niederlassung am Untermain verlassen.

Niedernberg. Mit zwei Schwestern fing alles an: Am 5. Juli 1928 wurde die Schwesternstation Niedernberg gegründet. Die Witwe Margaretha Flügel hatte 1926 ein Grundstück der König-Ludwig Maria-Therese Stiftung Niedernberg vermacht und bestimmt, dass darauf eine Kinderbewahranstalt sowie eine Handarbeitsschule zu errichten seien. Für die Betreuung der Kinder und den Unterricht sah sie die Oberzeller Franziskanerinnen vor. Auch die ambulante Krankenpflege sollte von den Schwestern übernommen werden.

Pfarrer Josef Seubert
Zwischen 1895 und 1938 wirkte Pfarrer Josef Seubert in der Gemeinde. Er erkannte früh die Notwendigkeit, in Niedernberg eine ambulante Krankenpflege einzuführen. Um das Vorhaben finanzieren zu können, gründete er im Mai 1906 den Sankt Johanniszweigverein.Ihm standen zwei Drittordensschwestern zur Seite. Auch die Betreuung der Kinder lag dem Pfarrer am Herzen. Im Ersten Weltkrieg hatten die Frauen keine Zeit, sich um ihre Kleinen zu kümmern, da sie auf dem Feld arbeiten mussten, während ihre Männer Kriegsdienst leisteten. In der so genannten Alten Schule richtete Seubert einen Kindersaal ein, den einer der Drittordensschwestern leitete. Im Jahr 1918 gründete er die König-Ludwig Maria-Therese Stiftung Niedernberg für den Bau einer so genannten Kleinkinderbewahranstalt und einer Handarbeitsschule. Beide Einrichtungen sollten von den Dienerinnen der heiligen Kindheit Jesu geleitet werden. Aus Geldmangel konnte das Projekt zunächst nicht wie geplant fortgeführt werden. Die überraschende Wende kam im Jahr 1926 als die Witwe Margaretha Flügel ihr Anwesen der Stiftung schenkte. 1928 wurde der Vertrag zwischen der Kongregation und der Gemeinde bzw. der Stiftung geschlossen, in dem festgelegt wurde, dass zwei Schwestern in Niedernberg eingesetzt werden. Jede erhielt monatlich 20 Mark für ihren Lebensunterhalt und hatte jährlich ein Anrecht auf 14 Tage Urlaub. 10 Mark flossen als Entschädigung pro Monat an das Mutterhaus in Oberzell.

Aller Anfang ist schwer
Die Schwestern Pudentiana Zänglein und Isfrieda Lieb kamen am 5. Juli 1928 mit Thaddäus Stahler, dem Geistlichen Direktor der Oberzeller Franziskanerinnen, in der 1350-Seelen-Gemeinde Niedernberg an. In einem Brief an Generaloberin Bonavantura Frank vom 11. Juli 1928 schilderte Schwester Pudentiana sehr anschaulich die Eröffnungsfeierlichkeiten. Sie erzählte vom feierlichen Gottesdienst, der anschließenden Prozession, die „unter Glockenklang und Musik“ durch den Ort zur Anstalt führte. Auch den Bürgermeister von Niedernberg erwähnte sie in ihrem Brief: Er „war zu Thränen gerührt u[nd] zitterte zum Erbarmen, sodaß er seine Rede abkürzen mußte“. Die Kinder bekamen alle einen „großen mürben Weck“ überreicht. 140 Kinder galt es am ersten Tag zu betreuen. Am zweiten kamen die Schulkinder mit und die Schwestern mussten sich plötzlich um 192 Kinder kümmern. Deshalb bat die Ordensfrau in ihrem ersten Schreiben an Generaloberin Bonaventura nachdrücklich um Verstärkung, die zum Ende des Jahres geschickt wurde. Der Handarbeitsunterricht in der Volksschule Niedernberg begann im November 1928. Die ambulante Krankenpflege übernahm am 15.November 1939 Schwester Theodosia Ramsteiner.

Schwesternstation in Niedernberg
Die 32 Schwestern, die im Laufe der Jahre nach Niedernberg versetzt wurden, leisteten wertvolle Dienste im Kindergarten, in der Erteilung von Handarbeitsunterricht und der ambulanten Krankenpflege. Darüber hinaus waren einige von ihnen auch als Organistinnen tätig. 1974 wurde in einem neuen Vertrag zwischen der Kongregation und dem Pfarramt Niedernberg bestimmt, dass nur noch die ambulante Krankenpflege und der Dienst im Kindergarten zu übernehmen seien.

Einige Schwestern haben in Niedernberg wirklich Wurzeln geschlagen. 32 Jahre ist Schwester Damaris Englert nun schon in der unterfränkischen Gemeinde. Auf 23 Jahre kann Schwester Norbertine Rüth bereits zurückblicken, die vor allem in der Hausarbeit tätig ist und bei der Kirchenwäsche sowie Ministrant*innenausstattung hilft. Ganze 20 Jahre betreute die Kinderpflegerin Schwester Margot Schmitt, die Niedernberg 2012 verließ, den Nachwuchs in der Gemeinde im Kindergarten Sonnenschein.

Verleihung der Ehrenbürgerwürde
Mit Schwester Damaris kam 1988 nicht nur eine neue Oberin und Kindergartenleiterin nach Niedernberg, sondern dem Konvent wurde auch erstmals ein Auto zur Verfügung gestellt. Anfang der 1990er Jahre übernahm die Franziskanerin neben der Arbeit im Kindergarten noch die Kommunion- und Firmvorbereitung und begann ihre Tätigkeit als Pfarrgemeinderätin sowie im Liturgieausschuss. Es war eine Zeit mit besonderer Verantwortung bedingt durch wechselnde Aushilfspriester bzw. durch das gänzliche Fehlen von Seelsorgern in Niedernberg. Darüber hinaus initiierte die von Bürgermeister Jürgen Reinhard als „Macher und Motor“ charakterisierte Ordensfrau im Laufe der Jahre mehrere Aktionen, sammelte Spenden für den Kindergarten und andere wohltätige Zwecke.

2003 ging die Kindergartenleitung in Niedernberg in weltliche Hände über. Das hielt Schwester Damaris jedoch nicht davon ab, fast täglich nach den Kindern zu schauen. Ab Oktober 2004 betätigte sie sich als Leiterin von Wort-Gottes-Feiern und übernahm mehr und mehr seelsorgerische Dienste in der Gemeinde Niedernberg. Im Jahr 2011 bekam die Ordensfrau das Ehrenzeichen für besondere Verdienste um die Gemeinde Niedernberg verliehen. Zudem wurde ihre Bereitschaft betont, ihren Mitmenschen in körperlicher oder seelischer Not beizustehen. Ein Jahr darauf konnte sie gemeinsam mit Schwester Norbertine dankbar auf 50 Jahre Ordensleben zurückblicken und ihre Goldene Profess feiern.

Bürgermeister Jürgen Reinhard überraschte die beiden 2015 mit einem besonderen Geschenk der Gemeinde: Sie durften an einer Flugreise nach Rom teilnehmen, die auch eine Generalaudienz mit Papst Franziskus einschloss. Drei Jahre später erhielt Schwester Damaris im Anschluss an einen Festgottesdienst für „90 Jahre Schwesternstation und Kindergarten Sankt Cyriakus“ sogar die Ehrenbürgerwürde von Niedernberg.

Am Christkönigssonntag, 22. November 2020, wurde offiziell die Schwesternstation Niedernberg im Rahmen eines Dankgottesdiensts und eines anschließenden Festakts aufgelöst. Die letzten beiden Schwestern wurden ins Kloster Oberzell zurückgerufen und die Oberzeller Filiale schließt nach nunmehr 92 Jahren ihre Pforten. Mit der Auflösung endet auch die Anwesenheit von Oberzeller Franziskanerinnen in Niedernberg, die durch ihr Mitgestalten, ihr Mithelfen und ihre Mitmenschlichkeit das Leben dieser „warmherzigen“ Gemeinde – wie Schwester Damaris die unterfränkische Gemeinde einmal bezeichnete – nachhaltig geprägt haben und deshalb unvergessen bleiben.

Christine Hagedorn
Archivverantwortliche Kloster Oberzell

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