Als Schwester Elkana Griebel kurz nach ihrem 90. Geburtstag nach Deutschland zurückkehrte, hinterließ sie in Südafrika Spuren aus 57 Jahren tatkräftiger Arbeit in der Mission – und eine große Wahlfamilie, nämlich die Schützlinge des von ihr mitgegründeten Kinderheims St. Joseph in Mbongolwane.
„Ich wollte schon als kleines Mädchen ins Kloster gehen“, erinnert sich Schwester Elkana. Doch als der Eintritt schließlich möglich gewesen wäre, beschloss die 1928 in Schönau an der Brend geborene Waltraud Griebel, sich erst einmal den Wind der großen weiten Welt um die Nase wehen zu lassen. Erst zog sie nach Frankfurt, später arbeitete sie als Hausgehilfin bei einer Arztfamilie in Geisenheim. Als dann zwei ihrer jüngeren Schwestern bei den Oberzeller Franziskanerinnen eintraten, kehrte sie nach Hause zurück. Wenig später ging sie den gleichen Weg wie ihre Geschwister.
SÜDAFRIKA
„Im Kloster hat man mir dann mitgeteilt, dass ich Krankenschwester werde“, sagt Schwester Elkana. Ihr Gelöbnis des Gehorsams habe ihr geholfen, den zuerst ungeliebten Beruf zu akzeptieren. Doch bald schon sei er für sie zur Berufung geworden. Der Gang in die südafrikanische Mission im Jahr 1961 sei jedoch kein „Muss“ gewesen. Die Generaloberin habe nicht nur jeder Schwester die Entscheidung freigestellt, sondern auch Wert darauf gelegt, dass deren Familien sie mittrugen. Nach der langen Reise nach Südafrika war für Schwester Elkana zunächst erneutes Lernen angesagt: Die deutsche Krankenpflegeausbildung wurde dort nicht anerkannt und musste mit einer Zusatzqualifikation bestätigt werden. „Darüber war ich aber nicht unglücklich, weil in Südafrika doch vieles anders war“, erzählt sie. Zum Einsatz ging es dann nach Mbongolwane im Zululand. Das dortige Krankenhaus hatten die Oberzeller Franziskanerinnen von den Missionsbenediktinern übernommen. „Damals war alles in der Klinik noch sehr einfach“, erläutert sie. Erst mit der Zeit habe man das Gebäude ausgebaut und erweitert.
HALBE MEDIZINERIN
Da nur einmal in der Woche ein Arzt in das Krankenhaus kam, mussten die Schwestern viele Aufgaben erledigen, die ansonsten Medizinern vorbehalten gewesen wären. Die Klinik hatte ein riesiges Einzugsgebiet; die Patienten kamen oft von weither. Schwester Elkana erzählt von Kranken, die auf von Eseln gezogenen Schlepptragen gebracht wurden. „Oft waren wir völlig überfüllt; die Patienten lagen in den Betten und davor oder darunter“, erinnert sie sich. Die Bevölkerung der ländlichen Gegend war arm und bestand fast ausschließlich aus Schwarzen. Von den gewaltsamen Konflikten des Apartheidsregimes bekamen die Schwestern dort wenig mit.
Aber während eines Exerzitienaufenthalts in Johannesburg erlebte auch die Franziskanerin die Unruhen, die im ganzen Land vielen Menschen das Leben kosteten. „Es war schlimm“, sagt sie nachdenklich.
UNERMÜDLICH
In einem Alter, in dem die meisten Menschen bereits über den Ruhestand nachdenken, stellte sich Schwester Elkana einer völlig neuen Herausforderung: Gemeinsam mit zwei Mitschwestern gründete sie 1988 mit 60 Jahren in Mbongolwane das Kinderheim St. Joseph. „Es gab so viele Kinder, die Gewalt erlebt hatten, oder die keinen Menschen mehr hatten, der sich um sie kümmerte.“. Ein ehemaliges Wohnheim sei zu einem Zuhause für sie umgebaut worden. Die Vorgeschichten dieser Kinder waren oft tragisch. Einmal habe ein Elternpaar ein krankes dreijähriges Mädchen im Krankenhaus abgeliefert und einfach nicht mehr abgeholt. Ein andermal sei ein neugeborener Junge ausgesetzt an einem Feldrand gefunden worden. „Dem hat eine Affenherde das Leben gerettet“, berichtet Schwester Elkana. „Die haben einen solchen Lärm gemacht, dass man das Baby entdeckt hat, umringt von lauter Affen.“ Das Findelkind sei in der Obhut der Schwestern unbeschwert aufgewachsen, und aus dem zurückgelassenen Mädchen sei eine Kindergärtnerin in leitender Position geworden. Man sieht Schwester Elkana an, wie sehr sie sich über solche Erfolgsgeschichten freut.
„EINFACH BEHALTEN”
Anfangs kümmerten sich die Schwestern nur um eine Handvoll Schützlinge; heute sind es 30 Kinder, die in Mbongolwane leben. Zunächst hatten Regierungsvorgaben die Schwestern verpflichtet, die Kinder nur zwei Jahre lang zu versorgen. Die angestrebte Rückkehr in die Ursprungsfamilien oder eine Adoption seien aber nicht immer möglich gewesen. „Da haben wir sie dann einfach behalten“, lacht die Schwester. Bildung ist der Schlüssel zu einer gesicherten Existenz – auch im Kinderheim von Mbongolwane gilt diese Maxime. Nach dem Besuch des hauseigenen Kindergartens besuchen alle Kinder eine Grundschule in der Umgebung. Die häusliche Gemeinschaft mit den Erzieherinnen und Schwestern ersetzt ihnen die Familie und hilft, die Wunden zu heilen, die das Leben ihnen bereits in jungen Jahren zugefügt hat.
ANS HERZ GEWACHSEN
Auch Schwester Elkana schlug Wurzeln im familiären Ambiente des Kinderheims. „Die Kinder sind mir so sehr ans Herz gewachsen; ich vermisse sie gewaltig“, bekennt sie. Jedoch sei sie im vergangenen Jahr freiwillig nach Deutschland zurückgekehrt, nicht zuletzt weil eine ihrer leiblichen Schwestern schwer erkrankt war. Aber auch wenn beim Abschied die Tränen flossen: die Verbundenheit mit Südafrika und „ihren“ Kindern bleibt ungebrochen. Sorgen bereite ihr allerdings der schwere Verlauf der Corona-Krise auf dem afrikanischen Kontinent. „Ich schreibe leidenschaftlich gerne Briefe, aber kürzlich kam einer nach drei Wochen aus Südafrika zurück, weil die Post dort nicht mehr ausgetragen wurde. Jetzt müssen wir uns auf EMails und Telefonate beschränken“, sagt die Ordensfrau traurig. In dieser unsicheren Zeit spüre sie ganz besonders die Kraft, die ihr der Glaube schenkt: „Ich brauche Gott, ohne ihn komme ich nicht zurecht.“
Karen A. Braun
Würzburger Katholisches Sonntagsblatt