90 Jahre Oberzeller Schwestern in Niedernberg – Seit 1928 leben und wirken Oberzeller Franziskanerinnen in der Gemeinde Niedernberg im Landkreis Aschaffenburg. Beim Gottesdienst anlässlich des 90. Geburtstages von Schwesternstation und Kindergarten St. Cyriakus hielt Generaloberin Sr. Katharina Ganz am 7. Juli die Festpredigt.
“Dieses Jahr hat sich – zumindest für uns Deutsche – das Sommermärchen nicht erfüllt. Seit die Fußball-WM 2006 in Deutschland ausgetragen wurde und unser Team vor vier Jahren als Weltmeister aus Brasilien zurückkam, galt die Devise von Trainer Löw: Mission 2. Den Titel verteidigen. Und dann das Unvorstellbare und bislang nie da Gewesene im deutschen Fußball: Das Aus in der Vorrunde. Was für eine Blamage! Selbst in Südafrika, wo ich noch bis vor wenigen Tagen unsere Schwestern besuchte, haben alle über die Niederlage debattiert. „Auf Wiedersehen Germany“ war als Überschrift über den Tageszeitungen zu lesen.
Das Gute an dem vorzeitigen Aus: Wir können uns heute Abend in Niedernberg auf den eigentlichen Anlass dieses Gottesdienstes konzentrieren: 90 Jahre Schwesternstation und damit einhergehend 90 Jahre Kindergarten St. Cyriakus. 90 Jahre seit dem 5. Juli 1928, das sind immerhin zwei Jahre mehr als es die Fußball-Weltmeisterschaft überhaupt gibt. Aber worum ging und geht es den 35 Schwestern unserer Gemeinschaft, die in der Kindererziehung, Krankenpflege, im Handarbeitsunterricht, als Organistin oder Oberin so lange in einem Konvent in Pfarrei und Gemeinde präsent waren und sind? Was wird hier gespielt? Nach welchen Regeln läuft so ein Leben ab? Und worauf zielt es? Was steht im Mittelpunkt?
Schauen wir uns zunächst das Evangelium an, das wir gerade gehört haben. Es ist so kurz, dass ich es noch einmal wiederholen kann: ‘Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war. Ein Mann entdeckte ihn, grub ihn aber wieder ein. Und in seiner Freude verkaufte er alles, was er besaß, und kaufte den Acker.’ (Mt 13,44-46).
Diese Bibelstelle gleicht einem Märchen. Sie ist eine bildliche Erzählung über das große Glück. Statt Sommermärchen heißt der Traum: „Himmelreich“. Reich Gottes oder Herrschaft Gottes. Was ist damit gemeint?
Das Alte oder Erste Testament berichtet, wie sich im Volk Israel mit der Zeit die Vorstellung ausbildete, dass es nur einen einzigen Gott, Jahwe, gibt, der sein Volk durch die gesalbten Propheten und Könige führt, durch die Geschichte mitgeht, sich in der Welt offenbart und die Menschen zu Brüdern und Schwestern zusammenführt. Dieses Reich steht aber in der Spannung zwischen Verheißung und Erfüllung. Vielleicht vergleichbar mit dem Fußball, wo jeder Gruppensieg eine Mannschaft weiterbringt, es aber auch jederzeit Rückschläge bis zum K.O.-Schlag geben kann.
Israel hat solche Niederlagen erlebt: Vertreibung aus Jerusalem, Zerstörung des Tempels, Gefangenschaft in Babylon. Dennoch haben die Propheten die Vision aufrechterhalten: Eines Tages werden wir zurückkehren. Am Ende wird Jahwe sein Volk retten. Die Feinde Israels und sogar der Tod werden vernichtet werden. Es wird ein universales Friedensreich geben.
Jesus hat diesen Traum weiter geträumt und vor allem vorgelebt. Aber mit ein wenig anderen Vorzeichen: Wenn Gottes Reich anbricht, so schreibt es der Evangelist Matthäus, dann dürfen sich besonders die Armen freuen, die Ausgeschlossenen, die Hungrigen und Traurigen, die Mutlosen und Verfolgten. Ihnen gilt die besondere Liebe und Zuwendung Gottes. Diejenigen, die hier auf Erden die Ersten sind, werden dann die Letzten sein und die Letzten werden die Ersten sein.
Das widerspricht natürlich allem, was wir kennen – außer beim Fußball, wo es eventuell dieses Jahr einem Außenseiter gelingt, den großen Sieg zu erringen, während die großen Fußballnationen Deutschland, Argentinien, Spanien, Portugal und Brasilien schon heimfahren mussten und Italien gar nicht erst antreten durfte.
Auch das hat das Himmelreich, von dem Jesus in Gleichnissen spricht, mit dem Mannschaftssport gemeinsam: Es gehört Glück dazu bzw. Gott führt es herbei. Der Mensch kann um sein Kommen nur beten oder darauf hoffen. Gleichzeitig muss man es auch wollen, sich dafür entscheiden und alles daran setzen.
Der Mann im Gleichnis vom Schatz im Acker hat zunächst einmal Glück. Er findet den Schatz und vergräbt ihn wieder. Der Acker gehört also nicht ihm. Sonst hätte er den Schatz ja gleich mit nach Hause nehmen können. Es wird sich also um einen einfachen Landarbeiter gehandelt haben. Einen Saisonarbeiter vielleicht. Immerhin ist er so ehrlich, dass er den Schatz nicht einfach klaut. Er möchte sich den Acker redlich erwerben. Dazu setzt er alles auf eine Karte. In seiner Freude verkauft er alles, was er hat, um den Acker zu bekommen.
Es wird nicht gesagt, was für einen Schatz der Mann gefunden hat, der so einen enormen Wert für ihn hatte. Die Zuhörer des Gleichnisses dachten vielleicht an einen Tonkrug mit Silbermünzen. In jedem Fall ist es sicher klug von ihm, sein Geheimnis erst einmal für sich zu bewahren, damit es ihm nicht so ergeht, wie bei Karl Mays „Schatz im Silbersee“, wo es am Ende im Goldrausch zu Mord und Totschlag kommt und niemand den Schatz in der Höhle bergen kann.
So sind nun wir an der Reihe uns zu fragen, welchen Schatz wir eigentlich im Acker unseres Lebens heben wollen. Welchem Traum laufen wir hinterher? Was wäre unser großes Glück? Und welche Verheißung gilt für uns, wenn wir das Gleichnis vom Himmelreich für unser Leben bedenken?
Oberzeller Schwestern versuchen seit 90 Jahren in Niedernberg ihre Version vom gelingenden Leben zu leben: Wir haben im Glauben an Gott, in Jesus Christus einen Schatz gefunden, den wir wertschätzen und aus dessen Reichtum wir leben. Auf diesen Gott setzen wir unsere ganze Liebe, unseren Glauben und unsere Hoffnung. Oder etwas bescheidener formuliert: Wir versuchen es wenigstens immer wieder. Denn der Schatz ist ja nicht immer greifbar. Manchmal haben wir nur eine diffuse Sehnsucht, dass er im Acker unseres Lebens verborgen ist. Manchmal haben wir etwas davon in der Hand. Dann müssen wir wieder mühsam danach suchen. Der Landarbeiter sucht ja gar nicht den Schatz, er findet ihn. Und zwar bei der mühsamen Feldarbeit.
Das ist die Botschaft Jesu: Das Reich Gottes ist einerseits unverdientes Geschenk von Gott und gleichzeitig erfordert es unsere tägliche Anstrengung. Es heißt anpacken und mithelfen, dass erfahrbar wird, was Gott uns Menschen verheißt: Jeder Mensch ist wichtig und einzigartig. Jeder Mensch hat eine Würde, ist ein Kind Gottes. Jeder Mensch hat Talente und Fähigkeiten, die er entwickeln darf und soll. Wer sich in den Dienst Jesu stellt, möchte mithelfen, dass andere erfahren dürfen: Kindern wird etwas zugetraut, alte Menschen sollen nicht vereinsamen, Kranke bekommen Besuch, Fremde werden in die Gemeinde integriert. Streithähne versöhnen sich. Wer einen Menschen verloren hat, muss nicht alleine trauern. Menschen wetteifern nicht mehr darum, wer besser, gescheiter, schneller oder reicher ist, sondern teilen, was sie haben, um die Gemeinde aufzubauen und ein gutes Leben für alle zu ermöglichen. Das hebräische Wort „Schalom“ – heißt nicht nur Friede, sondern umfassendes Wohlergehen, Gesundheit, Wohlstand – nicht nur für einzelne, sondern für alle.
Was für ein „Sommermärchen“, das ich da erzähle. Gibt es das denn überhaupt? Kann man dieses Reich Gottes wirklich erfahren? Ist das nicht eine einzige Utopie, eine Vertröstung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag? Oder vielleicht auf das Jenseits, falls wir an ein Weiterleben an den Tod noch glauben?
Wenn wir uns umschauen, ist es scheinbar schlecht bestellt um die Botschaft Jesu vom anbrechenden Reich Gottes. Nicht nur im Fußball gibt es Sieger und Besiegte, Schadenfreude, Schimpftiraden und üble Fouls.
Neuerdings ist es neuerdings wieder „in“ von „denen“ und „wir“ zu sprechen. Menschen werden ein- und andere ausgeschlossen. Es wird nicht nur zwischen Menschen unterschieden, sondern Einzelne oder ganze Gruppen gezielt abgewertet und ausgegrenzt. Dann heißt es etwa: „Das ist unsere Heimat – Ihr seid uns fremd.“ „Wir sind Christen. – Ihr seid Andersgläubige.“ „Wir wollen Sicherheit. – Ihr bedroht unseren Wohlstand.“ „Unser Land zuerst. – Eure Waren boykottieren wir.“ „Wir haben die wahre Lehre. – Mit Euch teilen wir nicht die Kommunion.“ „In Europa leben wir seit über 70 Jahren in Frieden. – Mit Euren Kriegen wollen wir nichts zu tun haben.“ „Die Ressourcen der Erde gehören uns. – Selber schuld, wenn Ihr nicht mehr genug zum Leben habt.“ „Jesus hat als Mann auf der Erde gelebt. – Frauen können ihn nicht repräsentieren.“ „Ihr musstet vor Not, Krieg und Vertreibung fliehen? – Ist uns doch egal. Wir sorgen dafür, dass Ihr nicht bei uns ankommt und die Entwicklungshilfe kürzen wir auch noch.“
90 Jahre Schwesternkonvent in Niedernberg. 90 Jahre Dienerinnen der hl. Kindheit Jesu und Franziskanerinnen, die als Kindergärtnerinnen, Krankenschwestern, Organistinnen, Handarbeitslehrerinnen oder im Schwesternhaus einfach da waren, aus Hingabe an Gott und die Menschen. Natürlich war da nicht immer alles eitel Sonnenschein. Auch Schwestern sind nur Menschen.
Nicht immer ist es uns gelungen, die frohe Botschaft von der Liebe und Menschenfreundlichkeit Gottes für alle zu leben. Wenn unsere Schwestern Anlass boten für Streit und Enttäuschung, Verletzungen oder Frust, gilt es um Verzeihung zu bitten.
Schuld und Versagen offen einzugestehen, heißt aber noch lange nicht, dass die Vision Jesu vom Reich Gottes ausgedient hat. Wir träumen weiter und tun als kleiner werdende Gemeinschaft, was wir können. Freilich tut es auch weh, dass die Mitgliederzahlen der Kongregation in den letzten Jahrzehnten drastisch zurückgegangen sind und wir einen Konvent nach dem anderen auflösen müssen.
Sollte dies eines Tages auch für Niedernberg anstehen, heißt das aber nicht, dass der Traum vom Reich Gottes ausgeträumt sein muss in diesem Ort. Denn Sie, liebe Schwestern und Brüder, leben ihn doch alle selbst: in den Vereinen und in der Nachbarschaft, durch ehrenamtliches Engagement und hauptamtliche Sorge für Gemeinde und Pfarrei. In Familie und Partnerschaft, Kindererziehung und in der Karnevalsgesellschaft.
Dennoch gilt heute ein besonderer Dank Euch, liebe Schwester Lanthilde, Schwester Helga, Schwester Margot, Schwester Damaris und Schwester Norbertine, stellvertretend für die 35 Schwestern unserer Kongregation, die im Laufe der 90 Jahre hier in Niedernberg tätig waren, für Euren Einsatz und Euer Dasein.
Ihnen, liebe Brüder und Schwestern, danke ich für das gute Miteinander und das wunderbare Zusammenspiel mit dem Schwesternhaus. Joachim Löws Mannschaft hätte sich vom Teamgeist der Niedernberger eine Scheibe abschneiden können, dann hätten sie sicher nicht so fatal abgeschnitten dieses Jahr.
Noch eine Ebene gibt es in diesem Gleichnis vom Schatz im Acker, die ich abschließend aufzeigen möchte: Dann ist der Mann, der den Acker bestellt, Jesus selbst. Mensch geworden für uns. Der Acker ist die Welt. Das Leben. Nicht immer leicht zu bestehen. Voller Steine, manchmal Disteln, manchmal zu trocken, so dass kaum etwas wächst. Aber Jesus gibt die Hoffnung nicht auf. Er ist da, jeden Tag. Mitten unter uns. Wir sind der Schatz, den er sucht. Es wird leichter, daran zu glauben, wenn uns das jemand zusagt oder wir mit Würde und Respekt behandelt werden.
Dazu muss man nicht ins Kloster gehen. Diesen christlichen Geist, der in Niedernberg lebendig erfahrbar ist, können Sie sich bewahren, unabhängig davon, wer für St. Cyriakus gerade Pfarrer ist, welche Gemeindereferentinnen da sind, welche pastoralen Reformen der neue Bischof plant und ob es auch in 90 Jahren noch eine Oberzeller Schwesternkonvent hier gibt.
„Gott ruft Dich. Du bist ein Schatz!“ Diesen Satz hat mir kurz nach meinem Eintritt eine Schwester einmal zugesagt. Ab und zu wiederholt sie ihn mir. Manchmal zwischen Tür und Angel, wenn ich ihr zwischen zwei Terminen im Gang begegne. Immer tut mir diese Erinnerung gut, vor allem, wenn ich gerade schwer zu ackern habe.
„Gott sucht Dich. Du bist ein Schatz!“ Das gilt für jede und jeden von uns. Wer daran glaubt, hat noch ein spannendes Spiel vor sich. In diesem Sinn: Nehmen wir unseren Platz ein auf dem Feld des Lebens und kämpfen wir ein faires Spiel nach den Regeln Jesu – bis zum endgültigen Abpfiff. Amen.
Sr. Katharina Ganz