Behinderung mit Familienanschluss

Aphasie – Aphasiker sind Menschen, die nach einem Schlaganfall, Hirntumor oder Unfall den Verlust der Sprache zu bewältigen haben – jährliches Treffen im Haus Klara von Betroffenen und ihren Angehörigen.

Leben ist Kommunikation und das Leben kennt viele Sprachen. Die Sprache des Menschen ist dabei ein besonders komplexes und leistungsfähiges Werkzeug der Kommunikation. Im Gespräch erfährt sich der Mensch und kann sich in seinem Leben und seiner Umgebung orientieren.

Wer die Sprache beherrscht, wer die anderen versteht und sich verständlich machen kann, dem stehen Welt und Gesellschaft offen. Wer aber die Wörter nicht mehr findet, um ins Gespräch zu kommen, der steht bald abseits und fühlt sich ausgeschlossen aus der Gesellschaft.

Plötzlich stumm

Sprechen, kommunizieren, sich ausdrücken – wenn das plötzlich nicht mehr geht, wenn die Sprache einfach so wegbleibt und die nahezu unbegreifliche Diagnose „Aphasie“ das Leben von da an bestimmt, ist das für Menschen eine besonders traumatische Erfahrung.

„Mir fehlen die Worte.“ Wer dies sagt, hat die Worte schon wieder gefunden. Doch bei einer Aphasie verabschiedet sich oft der ganze Wortschatz. Ihn wieder zu bergen ist mühsam. Viele Menschen mit einer Aphasie haben Jahre gebraucht, um ihre Sprache zurückzuerobern. Was uns allen selbstverständlich erscheint, die Fähigkeit zu sprechen, zu verstehen, zu lesen und zu schreiben ist bei Menschen mit einer Aphasie verloren gegangen. Aphasie ist eine erworbene Sprachbehinderung. Sie tritt zu 80 Prozent nach einem Schlaganfall auf und verändert das Leben der Betroffenen grundlegend. Hinzu kommen oft auch noch die Halbseitenlähmungen als Folgen des Schlaganfalls.

Betroffen sind auch die nächsten Angehörigen und das nahe Umfeld. Aphasie wird deshalb auch als Familienkrankheit bezeichnet, denn das gesamte Umfeld der Betroffenen leidet häufig unter den Folgen. Angehörige müssen sich auf radikal veränderte Bedingungen einstellen, mit ungeahnten Konfliktsituationen umgehen lernen und sich einem Leben anpassen, das sie so nie gewünscht haben. So entsteht für die Angehörigen eine Vielzahl an neuen Herausforderungen. Vertraute Kommunikationsmuster sind plötzlich nicht mehr möglich. Gemeinsame Träume und Lebensentwürfe werden von heute auf morgen zerstört. Zudem ist die Krankheit eines nahestehenden Menschen auch eine emotionale Belastung.

Umso wichtiger ist es in dieser Lebenssituation, Orte und Menschen zu finden, bei denen man immer wieder neue Kräfte tanken und sich wohlfühlen kann. Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker drückte es einmal so aus: „Nichtbehindertsein ist wahrlich kein Verdienst, sondern eher ein Geschenk, das jedem von uns durch eine jähe Wendung genommen werden kann.“

Kraft-Ort Haus Klara

Genau so ein wunderbarer „Kraft-Ort“ ist Aphasikern das jährliche Seminar im Haus Klara in der Gartenanlage des Kloster Oberzell. Seit über zehn Jahren kommen etwa 50 Menschen aus dem ganzen Bundesgebiet im Sommer für vier Tage zum Aphasie-Reha-Seminar zusammen. Etwa die Hälfte der Teilnehmenden wird von Angehörigen oder Ehepartnern begleitet. Alle nehmen die oft beschwerliche Reise auf sich, um dabei zu sein. Die Seminar-Tage in Oberzell sind inzwischen sehr begehrt, da mit dem vielseitigen Programm-Angebot (Musik, Singen und Bewegen, Theaterspielen, Gespräche für Angehörige und Betroffene zu den unterschiedlichsten Themen, eine Oberzeller-Seminar-Rallye oder Olympiade) und in der Gartenanlage das Abschalten von einem schweren Alltag hervorragend gelingt. Zurück in den Alltag geht es dann mit neuer Energie und neuem Lebensmut. Alle freuen sich beim Abschied schon wieder auf die gemeinsamen Tage im nächsten Jahr!

Diese jährlichen Seminare werden vom Bundesverband für die Rehabilitation der Aphasiker organisiert und durchgeführt. Seit 40 Jahren setzt sich diese Selbsthilfe-Organisation umfassend für Menschen mit einer erworbenen Sprachbehinderung ein, um eine verbesserte medizinische Versorgung, die bestmögliche Wiedereingliederung in Familie, Gesellschaft, Beruf, die größtmögliche Selbst- und Mitbestimmung und die gesellschaftliche Teilhabe der chronisch Kranken, von Aphasie betroffenen Menschen, unter besonderer Berücksichtigung der Behinderung zu erreichen.

Leben mit Aphasie

So unterschiedlich die Auswirkungen einer Schädel-Hirn-Verletzung für die Menschen sein können, ein Schicksal teilen sie: Gemeinsam mit ihren Familien müssen die Betroffenen lernen, sich in ihrem Alltag neu zurechtzufinden. Sie müssen ihr Leben neu definieren, mit dem Ziel, es einmal möglichst selbstständig zu bewältigen. Das klingt gut. Wir alle wissen, dass es eine enorme Herausforderung für alle Beteiligten darstellt. In dieser schwierigen Lebenssituation brauchen Betroffene und Angehörige Unterstützung. Deshalb hat es sich der Bundesverband LUPE Umfrage: sprachlos Aphasie zur Aufgabe gemacht, Unterstützungsangebote bereit zu stellen, die den Weg in ein verändertes Leben erleichtern. In 15 Landesverbänden mit rund 250 regionalen Selbsthilfegruppen und in den bundesweiten Aphasie-Zentren werden zielgerichtete Informationen, vielfältige weiterführende Beratungsangebote beispielsweise auch
über therapeutische Möglichkeiten, der enorm hilfreiche und so wichtige Erfahrungsaustausch und bundesweit vernetzende, unterstützende Kontakte zu Gleichbetroffenen, sowie weitere wichtige Hilfestellungen und Beratungs- und Gesprächsangebote für die Menschen und ihre Familien zur Verfügung gestellt.

Planung 2019

Für das Jahr 2019 ist ein besonderer Höhepunkt in Planung. Im Rahmen des bundesweiten Seminares im Kloster Oberzell vom 25. bis 28. Juli im Haus Klara sollen Lieder für ein Konzert einstudiert werden. Das abschließende Konzert wird am Samstagnachmittag, den 27. Juli 2019 von 16 bis 17 Uhr in der Klosterkirche Sankt Michael zu hören sein. Eingeladen sind alle Oberzeller Schwestern und Interessierte.

Dagmar Amslinger,
Geschäftsführerin Bundesverband Aphasie