Obdach Plus: Modellprojekt für wohnungslose Frauen in Würzburg

Im Sankt Raphaelsheim am Haugerring 9 in Würzburg finden wohnungslose Frauen seit Anfang 2022 nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch intensive Unterstützung. „Frauenobdach Plus“ nennt sich das Modellprojekt, für das die Stadt Würzburg mit den Oberzeller Franziskanerinnen kooperiert. Das Besondere: Die sozialpädagogische Begleitung der untergebrachten Frauen geht deutlich über die Grundleistungen hinaus, zu denen jede Kommune verpflichtet ist. Das Modellprojekt wird aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales gefördert. Zudem gibt es finanzielle Unterstützung aus der Stiftung Obdachlosenhilfe Bayern.

Die Stadt Würzburg geht bei der Betreuung obdachloser Menschen neue Wege, was sich spätestens mit Beschluss des Sozialausschusses im Juli 2020 zeigte. Auf der Suche nach Partner*innen, die neue Wege mitgehen, kam sehr zeitnah das Kloster Oberzell ins Gespräch, zumal sich eine passende Immobilie abzeichnete. „Wir sind sehr froh, für die vulnerable Personengruppe obdachloser Frauen in Würzburg eine Partnerin gefunden zu haben, die sich in diesem Metier auf Expertise und Erfahrungen berufen kann. Die Situation der betroffenen Frauen wird durch fachliche Begleitung sowie in Bezug auf die objektive Sicherheit deutlich verbessert,“ betont Dr. Hülya Düber, verantwortliche Sozialreferentin der Stadt Würzburg.

 Platz in der Mitte der Gesellschaft

Beim Ortstermin am Mittwoch bedankte sich Generaloberin Schwester Dr. Katharina Ganz bei den Vertreter*innen der Stadt Würzburg für die gute Kooperation während der vergangenen Monate und für deren Geduld, dass die neuen Bewohnerinnen später als ursprünglich geplant einziehen konnten. Sie dankte Verwaltungsleiter und Ökonom Matthias Hart sowie der Leiterin des Fachbereichs Frauen, Karola Herbert, die von Seiten der Kongregation maßgeblich die Gespräche geführt und das Betreuungskonzept „Obdach Plus“ ausgearbeitet haben. „Ich bin stolz und froh, dass wir mitten in der Stadt neuen Wohnraum für obdachlose Frauen schaffen konnten. Denn alle Menschen sollen in der Mitte unserer Gesellschaft einen Platz haben. Für besonders Bedürftige einzustehen, ist eine zentrale kommunale und kirchliche Aufgabe. Mit dem neuen Projekt stehen wir ganz im Sendungsauftrag unserer Gemeinschaft.“ Die Oberzeller Handwerker mit ihrem technischen Betriebsleiter Udo Hofer hatten kräftig Hand angelegt, um die Brandschutzanforderungen zu erfüllen und die Zimmer bezugsfertig zu gestalten. Erfreut zeigte sich die Generaloberin auch, dass mit Susanne Göckelmann eine sehr erfahrene Sozialpädagogin die Betreuung der Bewohnerinnen übernimmt. Die langjährige Mitarbeiterin leistet die Basisbegleitung der Frauen vor Ort und arbeitet eng mit der städtischen Fachstelle Wohnungsnotfallhilfe zusammen.

2202 02 02 ObdachPlus05 vorschauIm Sankt Raphaelsheim am Haugerring 9 in Würzburg finden wohnungslose Frauen seit Anfang 2022 nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch intensive Unterstützung.Die Kongregation vermietet zwei Stockwerke an die Stadt, die sogenannten „Verfügungswohnraum“ bereitstellen muss. Bisher waren Frauen und Männer in der städtischen Notunterkunft in der Sedanstraße in Würzburg zwar in getrennten Wohnbereichen, aber in einem Gebäudekomplex untergebracht. Dies war für viele Frauen aufgrund ihrer Lebensgeschichte sehr problematisch. Im Sankt Raphaelsheim stehen für wohnungslose Frauen nun 19 Einzelzimmer und zwei separate Wohneinheiten zur Verfügung. Es gibt Gemeinschaftsküchen, Aufenthalts- und Büroräume. Betreiberin der Unterkunft und somit verantwortlich für die ordnungsrechtliche Unterbringung sowie sicherheitsrechtlich einweisende Behörde ist die Stadt Würzburg. Kommunen sind verpflichtet, eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen und den betroffenen Menschen ein sozialpädagogisches Angebot zu unterbreiten. Für die grundlegende sozialpädagogische Begleitung, zu der jede Kommune verpflichtet ist, beauftragte die Stadt den Fachbereich Frauen der Oberzeller Franziskanerinnen.

 Gesprächsangebote und Freizeitgestaltung

Der Fachbereich Frauen konnte sogar noch mehr erreichen. Sozialpädagogin und Fachbereichsleiterin Karola Herbert initiierte das Projekt „Frauenobdach Plus“. Außer Wohnraum und Grundversorgung gibt es für die wohnungslosen Frauen Gesprächsangebote, Freizeitgestaltung, Hilfe in der Haushaltsführung und bei der Körperhygiene, Training im Umgang mit PC und sozialen Medien, medizinische Beratung und einiges mehr. Vier Mitarbeiterinnen teilen sich die Vollzeitstelle für diese intensive Begleitung. Ihr wesentliches Ziel: zu den untergebrachten Frauen Kontakt herstellen, ihr Vertrauen gewinnen, Beziehungen aufbauen und ihnen eine Perspektive bieten. Für die Bewohnerinnen der Unterkunft ist das ein freiwilliges und vor allem niederschwelliges Angebot. Die erfahrenen Sozialpädagoginnen helfen den Frauen auch nachhaltiger bei der Wohnungssuche oder planen gemeinsame Essensangebote, um das Sozialverhalten zu stärken – alles Hilfestellungen, um wieder ein Leben an einem festen Wohnort aus eigener Kraft zu ermöglichen.  

2202 02 02 ObdachPlus03 vorschauDieses Team will den wohnungslosen Frauen zur Seite stehen (von links): Fachbereichsleiterin Karola Herbert, Theresa Leidnecker, Sofie Hofgärtner, Sr. Beate Krug und Susanne Göckelmann. Es fehlt Sr. Antonia Drewes.Nur über den Aufbau von Beziehung kann Veränderung einsetzen“, betont Karola Herbert. Außenstehende nehmen oft nur das befremdliche Verhalten der betroffenen Frauen wahr. Nach früheren Gewalterfahrungen, Vernachlässigung oder Bindungsstörungen ist dieses Verhalten aber häufig zur Überlebensstrategie geworden. Das Vertrauen in Bezugspersonen wurde häufig verletzt. Die Mitarbeiterinnen des Fachbereichs Frauen brauchen daher ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen. Es bedarf einer wertschätzenden Haltung und der Würdigung der Lebensleistung trotz – oder gerade auch wegen – der schwierigen Bedingungen, unter denen die Frauen bisher gelebt haben.

 Förderung vom Bayerischen Staatsministerium und von der Stiftung Obdachlosenhilfe

2202 02 02 ObdachPlus Logo StMAS2202 02 02 ObdachPlus Logo Stiftung Obdachlosenhilfe

 

 

 

 

Ihr Konzept für dieses Modellprojekt reichte die Fachbereichsleiterin zur Förderung ein. Mit Erfolg: Mit rund 23.000 Euro unterstützt die Stiftung Obdachlosenhilfe Bayern das Modellprojekt. Diese Mittel werden unter anderem für die Ausstattung der Unterkunft sowie für Freizeitangebote, medizinisches Material oder auch die Schulung Ehrenamtlicher verwendet. Das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales hat aus seinem Aktionsplan „Hilfe bei Obdachlosigkeit“ rund 51.000 Euro für „Frauenobdach Plus“ in Würzburg zugesagt – zunächst befristet für ein Jahr, mit der Option auf Verlängerung. Damit können größtenteils die Personalkosten gedeckt werden. Zehn Prozent müssen laut Förderrichtlinien aus Eigenmitteln bestritten werden. Die Oberzeller Franziskanerinnen leisten allerdings mehr.

Außer den wohnungslosen Frauen leben im Sankt Raphaelsheim noch Studentinnen. Geplant ist auch eine Wohngemeinschaft von Oberzeller Schwestern mit Gleichgesinnten. Die Ordensfrauen werden die Atmosphäre des Hauses mitprägen und wollen sich ehrenamtlich mit ihren Begabungen einbringen. Das Modellprojekt „Frauenobdach Plus“ steht ganz im Zeichen von Antonia Werr, der Würzburgerin, die 1855 die Kongregation der Oberzeller Franziskanerinnen gründete. Gemäß ihres Sendungsauftrages möchten Schwestern und Mitarbeiter*innen Frauen in benachteiligenden Lebenssituationen zur Seite stehen, was auch Karola Herbert betont: „Wir begegnen den Frauen mit Respekt und Wertschätzung und wollen ihnen eine Chance bieten.“

 2202 02 02 ObdachPlus02 vorschau Sozialpädagogin Susanne Göckelmann (mitte) zeigt Dr. Hülya Düber (links) und Sr. Dr. Katharina Ganz ein Zimmer in der Unterkunft, das derzeit noch frei ist.

  

Wer das Sankt Raphaelsheim und das Modellprojekt „Obdach Plus“ unterstützen möchte:

Spendenempfänger: Haus Antonia Werr
Verwendungszweck: Obdach Plus
IBAN: DE 86 7509 0300 0103 0180 08, Liga Bank Würzburg

Wir sagen herzlichen Dank und Vergelt’s Gott für jede Unterstützung!

 

Hintergrund: Obdachlosigkeit und der Fachbereich Frauen der Oberzeller Franziskanerinnen

Obdachlosigkeit kann jede(n) treffen. Mietschulden, Arbeitsplatzverlust, Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt, psychische Erkrankung, Sucht oder schwere Schicksalsschläge führen dazu, dass Menschen obdachlos werden. Wer seine Wohnung verloren hat, verliert meist auch seine sozialen Beziehungen. Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist aufgrund finanzieller Probleme deutlich erschwert. Kommunen sind verpflichtet, eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Eine Unterbringung in diesem „Verfügungswohnraum“ sollte nur vorübergehend erfolgen, wenngleich die angespannte Lage des Wohnungsmarktes der Stadt Würzburg leider zumeist einen längerfristigen Aufenthalt zur Folge hat. Menschen, die obdachlos geworden sind und in Notunterkünften leben, unterliegen einem schlechten Image und sind Stigmatisierung ausgesetzt. Perspektivlosigkeit, gepaart mit der Unfähigkeit, sich selbstständig Rat und Hilfe zu holen, sowie multiple Problemlagen sind bezeichnend für die Betroffenen. Resignation und der Glaube, dass sich an ihrer Situation sowieso niemals etwas ändern wird, sind häufig Folgen dieser prekären Lebensumstände. Besonders schwierig ist die Situation für Frauen, die in jungen Jahren oder im Alter erstmals obdachlos werden. Sie können häufig noch nicht oder nicht mehr auf Herausforderungen oder Veränderungen mit der Anpassung ihres Verhaltens reagieren. Die Begriffe obdachlos und wohnungslos werden im allgemeinen Sprachgebrauch übrigens oft synonym gebraucht. In der Fachdiskussion wird nach wie vor zwischen kommunal getragener Obdachlosenhilfe und frei-gemeinnützig getragener Wohnungslosenhilfe unterschieden. 

Der Fachbereich Frauen der Oberzeller Franziskanerinnen ist seit 1988 von der Stadt Würzburg mit Aufgaben betraut, um Frauen in besonderen sozialen Lebenslagen zu begleiten. Seit 1989 stellt der Fachbereich mit seiner Abteilung „Hilfen für Frauen in Krisensituationen“ ein eigenes vorübergehendes Wohnangebot für Frauen zur Verfügung. 1992 wurde dieses Angebot um eine Beratungsstelle und eine Kurzzeitübernachtung für wohnungslose Frauen, 1996 um ein Sleep-In für 17- bis 21-jährige Frauen im Rahmen der Jugendhilfe und 2007 um ein begleitetes Wohnen für Frauen nach der Haft erweitert.

Trägerin des Fachbereichs Frauen ist die Kongregation der Dienerinnen der heiligen Kindheit Jesu OSF (Oberzeller Franziskanerinnen). Seit ihrer Gründung 1855 unterstützt die Kongregation in ihren Einrichtungen und Diensten Frauen und Mädchen in schwierigen Lebenssituationen. Gemäß des Sendungsauftrages möchten Schwestern und weltliche Mitarbeiterinnen Frauen in benachteiligenden Lebenssituationen zur Seite stehen. Sie achten die Würde jedes Menschen, geben Frauen eine Stimme und ermutigen zum Neubeginn.

Das Sankt Raphaelsheim war von Juni 2018 bis Dezember 2021 Übergangsquartier für das Haus Antonia Werr, das in dieser Zeit generalsaniert wurde. Mit dem Umzug zurück in die Huttenstraße wurde im Haugerring 9 Platz für die ordnungsrechtliche Unterbringung obdachloser Frauen und das Modellprojekt „Frauenobdach Plus“.

2202 02 02 ObdachPlus04 vorschau